Aus dem Internet-Observatorium #109
Wir müssen über Starlink reden / UN-Digitalpakt / Milliardär-Verschwörungstheorien-Syndrom
Hallo zu einer neuen Ausgabe! Und schon einmal ein Programmhinweis: Kommende Woche erscheint keine aktuelle Newsletter-Ausgabe. Übernächste Woche… mal sehen. #Freizeit
Wir müssen über Starlink reden
Vor ein paar Wochen schickte Elon Musks Firma Starlink nach eigenen Angaben ihren 7000. Satelliten ins All. Damit sind 62 Prozent aller aktiven kommerziellen Satelliten von Starlink. Bereits 2023 machte Starlink 70 Prozent der Satellitenkommunikation mit hohem Durchsatz aus. Jede Woche kommen Dutzende neue Starlink-Satelliten dazu.
Diese Marktmacht hat bereits die US-Telekommunikationsbehörde FCC auf den Plan gerufen. Ich will heute aber kurz auf die Nebenwirkungen der Satelliten-Konstellationen, also der Anordnung von großen Satellitengruppen rund um die Erde, eingehen. Diskussionen über die Müllkippe in unserer Umlaufbahn und einen möglichen Kollaps durch die steigende Verdichtung (“Kessler-Syndrom”) gibt es bereits seit einigen Jahren Diskussionen. Doch speziell die Starlink-Satelliten führen immer wieder zu Diskussionen über negative Auswirkungen auf die Weltraumforschung (und unseren Blick in den Himmel).
So hieß es bereits 2020 im Atlantic zur Helligkeit der Satelliten durch reflektiertes Sonnenlicht und die Folgen für optische Teleskope (übersetzt und gefettet) :
“Die Satelliten haben sich als weitaus reflektierender erwiesen, als irgendjemand, selbst die Ingenieure von SpaceX, erwartet hatte. Vor Starlink gab es etwa 200 Objekte in der Erdumlaufbahn, die man mit bloßem Auge erkennen konnte. In weniger als einem Jahr hat SpaceX weitere 240 hinzugefügt. „Diese sind heller als wahrscheinlich 99 Prozent der Objekte, die sich derzeit in der Erdumlaufbahn befinden“, sagt Pat Seitzer, ein emeritierter Professor der Universität Michigan, der sich mit Weltraummüll beschäftigt.”
War die erste Generation der Starlink-Satelliten zu hell, gibt die zweite zu viel elektromagnetische Strahlung ab. Einer Studie niederländische Wissenschaftler zufolge hat das Folgen für die sensible Radioastronomie - die entsprechenden Instrumente könnten nämlich durch die Strahlung der Starlink-Satellitenkonstellationen “blind” werden. Übersetztes und gefettetes Zitat von Space.com:
“Die neuen Starlink-Satelliten von SpaceX erzeugen 32-mal mehr Radiostrahlung als ihre Vorgänger, was unter Astronomen Besorgnis erregt, da sie die Beobachtungen der Radioastronomie stören könnten. Die Radioastronomie nutzt hochempfindliche Antennen, um schwache Radiosignale aufzuspüren, die von Sternen, schwarzen Löchern und anderen Objekten im Universum ausgesendet werden. Forscher, die am Niederfrequenz-Array (LOFAR) in den Niederlanden arbeiten, einem der empfindlichsten Radioobservatorien der Welt, haben nun herausgefunden, dass die wachsende Megakonstellation von Internet-Satelliten von SpaceX ihre Instrumente blendet. Bei einer Reihe von Beobachtungen im Juli stellten die Forscher fest, dass die Starlink-Satelliten, die den Himmel über dem Array durchkreuzen, bis zu 10 Millionen Mal heller erscheinen als einige der wertvollsten Ziele der Radioastronomieforschung.”
Die Forscher fordern entsprechend indirekt Regulierung - denn “unabsichtliche Emissionen” sind bislang nicht reguliert, auch wenn Starlink offiziell mit Astronomen zusammenarbeitet, um die Strahlung zu minimieren. Zitat Deutsche Welle (übersetzt, gefettet):
“Mobilfunknetze und die Funkverschmutzung durch andere elektronische Quellen am Boden können die Weltraumbeobachtung ebenfalls stören, aber diese Emissionen werden von Regulierungsbehörden wie der Internationalen Fernmeldeunion streng kontrolliert.
Auf der Weltraumseite sieht die Sache anders aus. Da es nur wenige Vorschriften für Satellitenbetreiber gibt, ist die Forschungsgemeinschaft darauf angewiesen, mit Unternehmen, die Technologien in den Weltraum bringen, in gutem Glauben zusammenzuarbeiten.”
Mit OneWeb gibt es bereits einen Starlink-Konkurrenten mit mehr als 600 Satelliten, Amazon will mit “Project Kuiper” ebenfalls Hunderte von Internet-Satelliten in die Umlaufbahn schicken, China baut gerade die Konstellationen Qianfan and Guowang auf. Das sind gute Nachrichten für die globale Internet-Konnektivität - aber nicht für die Astronomie.
Der UN-Digitalpakt
Die Länder der Vereinten Nationen haben am vergangenen Wochenende den “Global Digital Compact” verabschiedet, der Teil des “Pact for the Future” ist, einer Art UN-Reformagenda. Die Vereinbarung (hier als pdf) ist allerdings nicht bindend.
Ich hatte bereits in Ausgabe #51 über die Sorgen geschrieben, die mit dem GDC verbunden waren - nämlich die Idee, dass die UN wichtige Entscheidungen rund um Internet- und KI-Governance stärker an sich zieht, die bislang in Multkstakeholder-Formaten wie dem Internet Governance Forum (IGF) ausgehandelt werden.
Der Prozess zum GDC selbst schien diese Sorgen zu bestätigen: Die Zivilgesellschaft konnte gerade in der Schlussphase nur kommentieren, was irgendwie aus den Verhandlungskreisen der Nationen geleakt wurde.
Den Bedenken wurde allerdings Rechnung getragen: Der GDC enthält ein explizites Bekenntnis zum IGF - neue Formate, die zum Beispiel auf rein nationalstaatlicher Ebene verhandeln, wurden nicht vorgeschlagen. Allerdings wird das IGF auch nicht gestärkt, die Finanzierung bleibt unsicher, die Bedingungen der Mandatsverlängerung über 2025 hinaus bleiben unklar.
Und: Der UN-Sondergesandte für Technologiefragen wird aufgewertet und bekommt eine Art Koordinierungsbüro für die UN-Digitalpolitik - dass allerdings in New York, nicht in Genf angesiedelt ist. Was auf eine starke Politisierung des Bereichs hindeuten könnte, wie Wolfgang Kleinwächter im TSP-Background-Artikel der geschätzten Monika Ermert (€) anmerkt.
Gescheitert ist allerdings die UN-Chef António Guterres zugeschriebene Idee, eine UN-Aufsichtsbehörde für KI im Stile der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA) zu gründen. Eine relativ kurzfristig einberufene Expertengruppe zur KI-Governance sorgte man dafür, dass in diesem Bereich zwar oft unverbindliche, aber zumindest realistische Regulierungspfade gewählt wurden.
Konkret sind es zwei neue Institutionen, die nun eingerichtet werden sollen: Eine Art Klimarat für KI (“International AI Science Council”), also ein Gremium, das die aktuellen Entwicklungen bewertet. Und ein globaler KI-Policy-Dialog im Rahmen der UN und ihrer Institutionen (International Telecommunications Union etc.), der zweimal jährlich stattfinden und sich um Risikoszenarien kümmern soll. Ob Gremium und Prozess wirklich eine Rolle spielen werden, hängt mit der - noch unklaren - Ausgestaltung und Besetzung zusammen. Man muss kein UN-Kenner sein, um hier skeptisch zu sein.
Was sonst noch in diesem Papier steht, ist prinzipiell löblich: Eine Kernforderung ist digitale Konnektivität für diejenigen, die noch nicht online sind, inklusive (unverbindlicher) Verpflichtung zum Schutz der (digitalen) Menschenrechte. Auch im Bereich Künstliche Intelligenz soll der globale Süden Teilhabe erhalten, weil im Moment mehr als 100 Länder nicht in die derzeit existierenden KI-Beratungsgruppen und Rahmenwerke eingebunden sind. Ein Beispiel, dass der maßgeblich beteiligte Thinktanker Ian Bremer für KI-Teilhabe nennt, ist der Zugang zu LLMs für die Auswertung von Gesundheitsdaten.
Auch der Stellenwert von “digitalen öffentlichen Gütern” wie Open-Source-Software wird übrigens als zentraler Baustein eines freien und innovativen Internets erwähnt. Und das Thema “Kampf gegen Falschinformation und Desinformation” kommt zwar vor, wird aber mit der Wahrung des Rechts auf freien Meinungsäußerung verknüpft (nicht, dass das in der Praxis irgendeine Bedeutung für ins Autokratische neigende Staaten hätte).
Soweit, so gut. Und so unverbindlich. Aber sich über multilaterale Einigungen zu freuen, auch wenn sie unverbindlich sind, gehört ja zur Diplomatie dazu. Und dass ich auf den ersten Blick keine nennenswerten Verschlechterungen zum Status Quo erkennen kann, ist in diesen Tagen ja auch schon ein Erfolg.
Milliardär-Verschwörungstheorien-Syndrom (MVTS)
Robert Wright vom Nonzero-Newsletter hat ein schönes Akronym erfunden: BCTS - billionaire conspiracy theory syndrome. Ich würde es mal ungeniert in MVTS (“Milliardär-Verschwörungstheorien-Syndrom”) eindeutschen.
Worum geht es? Darum, dass reaktionäre Milliardäre wie Elon Musk, Peter Thiel und Bill Ackman immer öffentlicher und immer dreister Verschwörungstheorien verbreiten. Musk und Ackman zum Beispiel, dass Kamala Harris ihre Fragen bereits vor der TV-Debatte mit Donald Trump erhielt. Thiel mit der Idee, dass Bill Gates seine Stiftung nur gegründet hat, um seine Ehefrau Melinda ruhig zu stellen (die Vorstellung, dass man als Tech-Milliardär auch andere Dinge als junge Uni-Abbrecher und “technologischen Fortschritt” fördern kann, scheint ihm fremd).
Das alles wäre halbwegs amüsant, wären die digitalen Produktionsmittel nicht in der Hand ebenjener Milliardäre.
Charlie Warzel schreibt dazu über Musk und Twitter im Atlantic (übersetzt):
“Während wir uns dem Wahltag nähern, hat man leicht das Gefühl, dass wir alle in die große Krise geraten sind - ein nationaler Moment, in dem wir die Bruchlandungsposition einnehmen und uns für den Aufprall wappnen. Man hat das Gefühl, dass sich die dunkelsten Kräfte im amerikanischen Leben beschleunigen, dass Politiker, mächtige Milliardäre und normale Bürger gleichermaßen auf die schlimmste Weise ermutigt oder weiter radikalisiert werden. Jeder Skandal, jeder Fauxpas und jede Tragödie scheint eine neue politische Bedeutung zu erlangen - als Vorbote eines möglichen Wahlergebnisses oder als Indikator für den Zerfall der Gesellschaft. Und genau dieses Gefühl wird von Musk und seiner Plattform jeden Tag aufs Neue geschürt und genährt.”
Ich habe es in Ausgabe #108 erwähnt: Es gibt ein funktionierendes reaktionäres Ökosystem. Und an den Knotenpunkten sitzen vor allem Superreiche - manchmal an den Knotenpunkten der Infrastruktur, aber im Falle von Musk und Co. auch an den Knotenpunkten der öffentlichen Kommunikation selbst.
Enshittification I: Cloudflares KI-Bot-Monitor
Der Internet-Infrastrukturanbieter Cloudflare stellt seinen Kunden künftig einen Werkzeugkasten mit dem Namen “Bot Management” zur Verfügung. Damit können Webseiten-Betreiber KI-Crawler erkennen und blockieren, selbst wenn diese sich über verschiedene IP-Adressen zu verbergen suchen.
Das ist alles erst einmal sehr hilfreich, aber eben doch deprimierend: Weil die Gier von echten und Möchtegern-KI-Anbietern nach Trainingsdaten-Content so groß ist, wurde die altbewährte Robots.txt-Konvention quasi über Nacht ausgehebelt. Weil sie eben nur eine Konvention ist. Und mit dem Wegfall dieser Konvention wird die ganze Sache zu einem technischen Wettrüsten. Und damit Teil des Software-as-a-Service-Geschäfts. Ein weiterer Aspekt der Enshittification des WWW.
Enshittification II: Video killed the Text Star
Substack hat jetzt eine Videofunktion, Bluesky auch. Mal ganz abgesehen davon, dass ich nicht glaube, dass diese Funktion auf größere Resonanz stoßen wird (aber was weiß ich schon): Wenn ein Infrastrukturdienst für (Text-)Newsletter und ein Twitter-Klon für Entwicklungskapazitäten in Video-Funktionen einsetzen, zeigt sich die Bewegtbild-FOMO in ihrem ganzen Ausmaß.
“Mäßige Zeiten für Text, gute Zeiten für Video” gehörte ja auch - wenig überraschend - zu meinen Thesen für das Digitaljahr 2024 (Ausgabe #77). Aber für mich als Kind der Gutenberg-Galaxis und regelmäßiger wie leidenschaftlicher Arbeiter im Weinberg des Textes ist das nicht nur ein gegenwärtiger Digitalisierungstrend, sondern Teil der zivilisatorischen Enshittification.
Fragen im Zusammenhang mit KI
John Herrman über die Fragen, die sich gerade Millionen von Endanwendern rund um (generative) Künstliche Intelligenz stellen. Die haben nämlich mit Superintelligenz und Dominanz des Wirtschaftssystems von morgen wenig zu tun. Übersetztes Zitat:
“Ist dieses Bild KI oder ist es einfach nur hässlich? Ist der Aufsatz meiner Schülerin oder meines Schülers KI-generiert, oder ist er einfach nur repetitiv, wenig anspruchsvoll und voller Klischees? Ist diese Speisekarte KI, oder ist das Essen einfach nur eklig? Ist dieses Foto KI, oder ist ihr Gesicht einfach nur so symmetrisch? Ist dieses Buch KI, oder wurde es nur von einem billigen Ghostwriter geschrieben? (Oder beides?) Ist dieser Beitrag eines Fremden in den sozialen Medien KI, oder sind die Menschen wirklich so langweilig? Ist diese E-Mail KI, oder hat mein Kollege angefangen, viel Adderall zu nehmen?”
So ehrlich muss man sich machen: Das, was generative KI liefert, steckt schon ziemlich fest derzeit. Da wirken Prognosen wie Sam Altmans “Superintelligenz ist nur noch einige Tausend Tage entfernt” von vor wenigen Tagen eher wie das Pfeifen im Walde als wie eine selbstbewusste Zukunftsvision.
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Der Chemiker und 3-D-Grafiker Juan Gaertner macht KI-gestützte Animationen. Was ein Kommentator bei YouTube gut beobeachtet hat: Die traumartige Atmosphäre wird durch die leichten Glitches des Rendering erzeugt. Ein Bug als Feature sozusagen.
(via)
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Johannes