I/O vom 26. Oktober 2022
USA vs. Chinas Chips, Nihilistischer Kreativ-Kreislauf, Unterseekabel-Fragen, nochmal Schönbohm
Hallo in die Runde! Die Tage sind lang und anstrengend, dabei gibt es so viel zu lesen und zu entdecken. Und nein, ich meine nicht die neuesten Wendungen der Twitter-Musk-Saga, bei der in dieser Woche mit dem Vollzug der Übernahme ein neues Kapitel beginnt. Nein, ich meine zum Beispiel Matt Levines 40.000 Wörter langes Essay zum Thema Crypto in der Businessweek. Wenn es nur halb so präzise und elegant wie Paul Fords Essay “What is Code?” (2015) seinerzeit ist, wird die Lektüre sicher ein Genuss. Vielleicht nächste Woche mehr dazu. Nun erstmal zur aktuellen Ausgabe…
USA vs. Chinas Chips
Das amerikanische Embargo gegen China im Bereich Cutting-Edge-Chips hatte ich bislang nur verlinkt. Auch, weil das diese Entwicklung aus dem in Ausgabe #30 geschilderten Kontext abzuleiten war. Dachte ich zumindest. Allerdings muss man sagen, dass die Auswirkungen auf keinen Fall zu unterschätzen sind. Um Edward Luce in der Financial Times zu zitieren:
“The hit to China’s economy will be far bigger than the word “semiconductor” implies. Biden’s move draws on the premise that any advanced chip can be used by China’s military, including for nuclear weapon and hypersonic missile development. It is also meant to undercut China’s goal of dominating global artificial intelligence by 2030. But all such chips are dual use, which means that the US is now committed to blocking China in all kinds of civilian technologies that make up a modern economy.”
Und, auf der Ebene der Fachkräfte-Ebene (und des persönlichen beruflichen Schicksals):
“The report targets not only US companies’ involvement in selling tech products to China but also US persons (i.e. anyone with a US passport or green card). This puts the many founders of Chinese tech companies who were educated in the US, and acquired a US passport on the way, in a seemingly difficult position. It will also make it much harder for Chinese tech companies to attract talent. Similarly, R&D laboratories set up by some Chinese companies in the US now look vulnerable. Alibaba has research labs in Seattle and Silicon Valley while Tencent also has a research lab in Seattle. And US pressure will be brought to bear to stop Holland’s ASML and Japanese companies from supplying China.”
Auch hier steht also eine Zeitenwende an - das endgültige Ende von Chimerica und der Beginn einer aggressiven amerikanischen Containment-Politik gegenüber China. Einen Vorgeschmack auf die Diskussionen, die sich daraus für Deutschland ergeben, erleben wir gerade in der Diskussion um das Containerterminal am Hamburger Hafen.
Wie wird es weitergehen? Zunächst einmal wird es Ausnahmelizenzen geben, weil sonst zahlreiche westliche Firmen plötzlich vor großen Problemen stünden. Gleichzeitig fasst die US-Regierung eine Blockade im Kontext Quantencomputer-Ausrüstung und ein System zur lückenlosen Investitionsprüfung ins Auge. China wiederum wird seine Bestrebungen nach Autarkie und neuen Tech-Bündnissen (z.B. mit Saudi-Arabien) verstärken. Ausgang ungewiss. Die USA werden Partner wie die EU wiederum dazu drängen, die Containment-Strategie zu unterstützen. Und Taiwan verliert möglicherweise mittelfristig sein Silicon Shield.
Insgesamt aber wir von einer solch komplexen, globalisierten Wertschöpfungskette, dass die tatsächlichen Folgen und Wechselwirkungen kaum prognostizierbar sind.
“While we agree that the short-term impact from a narrow application of the rules would be limited, we believe these costs could balloon quickly under a tightening of controls (for example to cover non-Chinese leading edge chip manufacturers in China)—a scenario we consider highly plausible. These estimates also do not take into account significant unintended spillovers for US and global players up and down the value chain.”
Derzeit wird viel von einer eher “vertikalen” Globalisierung gesprochen, also einer stärker in Einfluss- und Handelssphären geteilten Welt, in der wieder mehr innerhalb des eigenen Machtblocks gearbeitet wird. Die Halbleiter-Produktion ist aber genau für eine solche deglobalisierte Welt denkbar ungeeignet. Und das wird man erleben.
Nihilistischer Kreativ-Kreislauf
Der Stockfoto-Anbieter Shutterstock reagiert mit zwei Schritten auf die Welle von neuen, durch Machine Learning erstellten Werken (siehe: KI-Content - die nächste Welle ist schon da).
Man bietet künftig mittels einer Partnerschaft mit Open AI (Dall-E) und einer entsprechender Integration der Software auch künstliche generierte Stockfotos zum Kauf an.
Shutterstock gründet einen Fonds (“Contributor Fund”), aus dem Fotografen entschädigt werden sollen, wenn ihre Werke für das Training Künstlicher Intelligenz verwendet werden.
(2) ist natürlich ein PR-Move. Denn: Shutterstock hat seine Bilder bereits für das Training einer KI lizensiert. Nämlich seinerzeit an besagtes Open AI, das genau mit diesem Fundus die Software trainiert hat, aus der Dall-E wurde. Fotografen und Illustratoren sind damit Teil eines nihilistischen Kreislaufs: Ihre Bilder wurden verwendet, um eine Maschine zu trainieren, die jetzt selber Bilder errechnet. Und damit in direkte Konkurrenz tritt und die Preise versaut.
Welche Folgen synthetischer Content auf die Bildbranche hat, zeigt sich übrigens womöglich ganz gut an der aktuellen Kursentwicklung von Getty Images seit dem Börsengang im August (via Techmeme Ride Home).
Von einer Marktkapitalisierung von 11,6 Milliarden auf 1,58 Milliarden US-Dollar in zwei Monaten. Sicherlich nicht monokausal, aber sehr wahrscheinlich durchaus von der technologischen Entwicklung beeinflusst.
Unterseekabel-Fragen
Angesichts des Unterseekabel-Schadens, der die Shetland-Inseln vergangene Woche für einen Tag von Internet und Telefon abschnitt, kommt diese Economist-Geschichte gerade richtig. Obwohl sie natürlich eigentlich die Sabotage-Aktion gegen die Nordstream-Pipelines zum Anlass hat.
Wie steht es um die Sicherheit von Internet-Unterseekabeln? Ein paar Aspekte und Fakten aus dem Artikel:
Schätzungen zufolge gibt es derzeit 530 aktive oder geplante Untersee-Telekomkabel, die insgesamt 1,9 Millionen Kilometer Länge messen und 95 Prozent des weltweiten Internet-Verkehrs transportieren.
Inzwischen ist man dazu übergegangen, die Unterwasserkabel unter dem Meeresboden zu verlegen, sie also nicht einfach auf den Meeresgrund zu legen.
2020 verbot das US-Justizministerium ein chinesisch-amerikanisches Projekt, das die USA mit Hongkong verbinden sollte. Begründung: China versuche, Hongkong zu einem Zentrum der Digitalspionage zu machen (die Snowden-Enthüllungen zur amerikanischen Kabel-Spionage werden natürlich auch erwähnt).
Das Kabel-Netzwerk hat insgesamt eine große Redundanz, Komplettausfälle wie auf Shetland sind selten.
Was derzeit fehlt, ist eine Institution, die einen Überblick über die Unterbrechungen hat. Und dann auch vermerkt, was dahinter steckt. Deshalb fehlt es an guten Statistiken zu solchen Vorfällen.
Insgesamt gibt es eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Telekom-Anbietern und der jeweiligen Marine der Anrainerstaaten, die Kabel regelmäßig im Auge zu behalten. Institutionalisiert ist das aber offensichtlich meist nicht.
Weil es günstiger ist, neue Kabel zu verlegen, als alte zu reparieren, gibt es nicht mehr so viele Reparier-Schiffe wie früher. Dabei könnten die einmal dringend benötigt werden - zum Beispiel, wenn mehrere Kabel an verschiedenen Stellen durchtrennt werden.
Als seriöse Quelle zum Thema kann ich an dieser Stelle auf den guten Moritz Metz verweisen, der den ganz eigenen Kosmos der Internet-Kabelpolitik nicht nur für sein Projekt Internet Explorers verfolgt.
Nochmal Schönbohm
Vergangene Woche hatte ich ja vermutet, dass man Schönbohm auf den Chefsessel des Statistischen Bundesamts setzen wird. Nachdem kurz darauf der Zusammenhang zwischen Schönbohms Demission und geheimdienstlichen Ermittlungen lanciert wurde, ist diese These natürlich hinfällig.
Geheimdienst-Zusammenhänge also, soso. Ganz nebenbei eine gute Gelegenheit, die parlamentarischen Fragen zur Causa Schönbohm von Innen- und Digitalausschuss ins (geheim tagende) Parlamentarische Kontrollgremium zu delegieren.
Nun könnte es sein, dass Schönbohm im (vom Verfassungsschutz abgehörten) Telefonat mit Cybersicherheitsrat-Deutschland-eV-Chef Hans-Wilhelm Dünn irgendetwas gesagt hat, was irgendwie als Dienstgeheimnis gewertet werden könnte. Das kann ich mir nur schwer vorstellen, andererseits gibt es in der ganzen Causa ein derartiges Bouquet an unterschiedlichster Unprofessionalität, dass ich es auch nicht völlig ausschließen kann.
Für deutlich wahrscheinlicher halte ich: Das BMI hat nichts in der Hand. Gar nichts. Faeser hat gezuckt und jetzt hat man ein Problem. Denn das Ganze wird sicher vor Gericht landen. Ich würde das an Schönbohms Stelle auch ausfechten. Denn wenn nichts Handfestes vorliegt, wäre das eine ziemlich einmalige Rufschädigung. Und der ganze Vorgang läge weit außerhalb des Ermessensspielraums, den eine Dienstherrin hat.
Ich bin gespannt, wie das alles ausgeht, und verweise auf den guten Falk Steiner, der in der Angelegenheit mit Abstand am tiefsten gräbt. In gut drei Monaten wissen wir mehr - denn das ist die Frist für die Freistellung. Qua Titel ist Schönbohm ja weiterhin BSI-Präsident…
Content und die Kulturmaschine
“The relationship between content production and consumption has long since inverted, with human attention as the primary bottleneck; as the content continues to accumulate, its purpose will evolve. Instead of an output—something to inform or entertain humans—content will increasingly be an input for our massive global culture machine, with AI distilling the existing archive into yet more content in an accelerating cycle. Whether this will generate better content remains to be seen, but there will undeniably be more…and more, and more.”
Links
Du bist die Marke - und ausgebrannt
Pump & dump: Die Gorillas-Krise (€)
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Vielen Dank fürs Lesen!
Johannes