Aus dem Internet-Observatorium #142
Was war DOGE? / Irans Cyber-Optionen / Neura Robotics
Hallo zu einer neuen Ausgabe!
Was war DOGE?
Benjamin Wallace rekonstruiert im New Yorker, was DOGE wirklich in der Bundesverwaltung der USA verändert hat. Die Antwort in Zahlen: Ungefähr 208.000 Stellen wurden im Zuge der DOGE-Aktion gestrichen. Allerdings machen die Gesamt-Personalkosten für die insgesamt drei Millionen Staatsbedienstete inklusive Pensionen nur vier Prozent des Gesamthaushalts aus.
Die Einsparungen jenseits des Personals dürften anders als von Musk versprochen im Millionen-, nicht Milliardenbereich liegen. Dabei ist noch nicht gegengerechnet, was Staat und Gesellschaft durch weniger Steuerprüfungen nach IRS-Schrumpfung und die die De-Facto-Auflösung des Consumer Financial Protection Bureaus (C.F.PB) an Folgekosten tragen müssen. Oder wieviel Schadenersatz am Ende für die zahlreichen staatlich gebrochenen Verträge fällig wird. Dass die Zerstörung der Entwicklungshilfeorganisation USAID konkret Menschenleben kostet, wurde schon anderswo dokumentiert.
Womit wir bei der Antwort jenseits der Zahlen sind. Die lautet für Wallace-Wells (übersetzt):
“Ein Teil der Idee war, die Regierung mit Talenten zu versorgen, indem diverses Personal und ineffiziente Mitarbeiter durch versiertere Mitarbeiter aus der Startup-Branche ersetzt werden. Die jungen “Embeds”, die sich in der Regierung bewegten und von denen Musk bei seinen Auftritten auf Fox News schwärmte, verkörperten diese Vision. Aber letztendlich hatte der schnellste Weg für die DOGE, die Regierung zu reduzieren, nichts mit Technologie zu tun. [Ex-DOGE-Mitarbeiter] Sahil LavingiaLavingia erzählte mir, dass er während seiner beiden Monate bei der Veteranenbehörde zu dem Schluss kam, dass es gar nicht so viele Mitarbeitende gebe, die nur herumsitzen und nichts tun. ‘Um ehrlich zu sein, ist es in der Technologiebranche oft noch schlimmer, denn dort gibt es Risikokapital und niedrige Zinssätze’, sagte er. ‘Das kann ziemlich ineffizient sein.’”
Die DOGE-Leute waren weniger digitale Schocktruppen, als ziemlich unorganisierte, in ihrer Orientierungslosigkeit Musk-Tweets interpretierende Jung-Techies. Ein konservativer Influencer, der offenbar nah dran an DOGE war, kommt mit Blick auf das Gesamtprojekt zu dem Schluss: Musk ging es nicht darum, politische Resultate zu erzielen. Sondern darum, die Progressiven wütend zu machen. Owning the libs als politische Strategie, Teil 4385.
Dass ihm das über die Grenzen der USA gelang, zeigen auch die Reaktionen hierzulande. Schnell war vom “unsichtbaren Staatsstreich” die Rede, der ohne Panzer auskommt, weil er sich die IT der US-Regierungsbehörden per Handstreich übernimmt.
Ganz so einfach war das offenbar doch nicht. In der Realität gab es vor allem eine Aktion, die unter das Label “totalitär” fällt: Nämlich die Überführung der Sozialversicherungsnummern von 6300 Einwanderern, die während der Biden-Regierung (offenbar legal) ins Land gekommen waren, in das “Totenregister”. Heißt: Diese Menschen können nun keine Arbeit oder Staatsleistungen mehr erhalten.
Natürlich lässt sich DOGE nicht abschließend bewerten. Zum Beispiel ist unklar, für welche Zwecke die DOGE-Leute auf weitere Sozialversicherungsdaten zugriffen und ob sie kopiert wurden. Und natürlich lässt sich immer argumentieren, dass eine etwas zielstrebigere Vorgehensweise noch größeren Schaden angerichtet hätte, DOGE also an der fehlenden Organisation gescheitert ist, nicht an institutionellen Hürden.
Allerdings wird nach der Lektüre des New-Yorker-Artikels auch deutlich, dass das Narrativ vom DOGE-Putsch sich als übertrieben entpuppt hat.
In Ausgabe #124 hatte ich DOGE thematisiert und mir das Narrativ vom Staatsstreich ausdrücklich nicht zueigen gemacht. Allerdings hatte ich durchaus einen konstitutionellen Großkonflikt mit der Judikative prophezeit. Auch der blieb aus - beziehungsweise ist eher beim Thema Abschiebungen und Migration zu erwarten.
Was wir daraus lernen können? Dass die Sorge vor dem digitalen Putsch durchaus für öffentliche Aufmerksamkeit und auch für die Mobilisierung von Protest gesorgt hat. Dass solche Groß-Narrative aber nicht der komplexen Realität entsprechen. Und de facto auch einer Logik von allmächtiger Software folgen, die institutionelle und menschliche Faktoren ausklammert, also Berührungspunkte mit jener Idee des Techno-Solutionismus hat, die man eigentlich ablehnt.
Einige Progressive werden das Narrativ trotzdem weiter nutzen, passt es doch gut in das Gut/Böse-Schema und zur Idee von der Big-Tech-Machtergreifung. Irgendwann läuft so etwas wie die Geschichte vom Hirtenjungen und dem Wolf. Wenn es immer um alles geht, geht es irgendwann um nichts mehr. Diese Ermüdung wiederum gehört ja durchaus zur Strategie, die die politische Rechte um Trump groß gemacht hat.
Irans Cyber-Optionen
Nach dem Angriff der USA auf das iranische Atomprogramm rückt die Frage nach den Cyber-Kapazitäten Irans in den Mittelpunkt. Laut der Associated Press gab es am Wochenende DDOS-Attacken auf amerikanische Banken, Ölfirmen und Militärunternehmen, die aber einer pro-palästinensischen Gruppe zugeschrieben werden. Und DDOS-Attacken stellen eher Hacktivismus als ernsthafte Cybersabotage dar.
Iran kann auf ein beachtliches APT-Ökosystem zurückgreifen (eine Übersicht der Akteure findet sich hier), das auch mit der iranischen Regierung verbunden ist. Zuletzt wurden dem Land Hacker-Angriffe auf US-Politiker rund um den letzten US-Wahlkampf vorgeworfen. Allerdings betonen Experten auch, dass Iran seine Cyberfähigkeiten auch gerne PR-trächtig aufbauscht.
Die Frage ist, wie Teheran Cyber-Angriffe überhaupt strategisch einsetzen könnte. Direkte Reaktionen sind eher unwahrscheinlich. Das wäre auch nicht die iranische Art: Nach der Tötung des Revolutionsgarden-Kommandeurs Qasem Soleimani durch die USA im Jahr 2020 blieb es zunächst erstaunlich ruhig. Später stellte sich heraus, dass man offenbar ein Attentat auf den verantwortlichen US-Sicherheitsberater John Bolton planen ließ.
So würde man auch im Cyber-Bereich vorgehen. Theoretisch ist vor allem die öffentliche Infrastruktur in den USA digital sehr verwundbar, besonders auf lokaler und Bundesstaaten-Ebene. Dazu baut die Trump-Regierung gerade Infrastrukturen zur Cybersicherheit ab.
Allerdings ist auch Iran angreifbar. Gerade mit Israel hat man schlechte Erfahrungen gemacht. Das Beispiel Stuxnet ist omnipräsent, aber auch die Ermordung iranischer Offizieller im Zuge des jüngsten israelischen Angriffs dürfte auch auf technische Spionage und irgendeine Form von Tracking zurückzuführen sein. Nach dem israelischen Angriff ging das iranische Internet quasi offline, weil das Land nach eigenen Angaben so vor Cyberangriffen schützen wollte. Ein Cyber-Nebenschauplatz war auch die behauptete Löschung von Daten einer iranischen Bank durch Hacker, die Israel nahestehen sollen.
Sollte Iran die Cyberkarte ziehen, wird man zusehen, möglichst wenig Spuren zu hinterlassen, die eine Attribuierung der Tat möglich machen. Was allerdings dem Wunsch widerspricht, Stärke zu demonstrieren und auch öffentlich Vergeltung zu üben. Womöglich sind aber solche Operationen aus Sorge vor Vergeltung durch das Cyberwar-erprobte Israels auch komplett vom Tisch und man konzentriert sich vor allem auf Spionage.
Rückkehr der Longform?
Der Jazz- und Kulturkritiker Ted Gioia hat eine These: Der Trend hin zu ultrakurzem Content hat eine Gegenbewegung ausgelöst, die im wachsenden Erfolg langer Kulturformate erkennbar ist. Songs werden wieder länger, lange YouTube-Videos haben höhere Wachstumsraten als kurze Clips, Filme in Überlänge sind besonders erfolgreich. Gioia leitet das aus mehreren Gründen ab:
Das endlose Scrollen durch Kurzvideos führt demnach zu einem Dopaminüberschuss, der schließlich Gleichgültigkeit verursacht. Selbst süchtige haben keine Freude mehr. Entsprechend wird die Longform gesucht.
Es gibt eine Gegenbewegung zu digitalen Interfaces, ähnlich wie die Abstinenzbewegungen bei Alkohol und Drogen der Fall war.
Kurzformate können sich viral verbreiten, schaffen aber keine Bindung.
Jede kulturelle Form ruft eine Gegenbewegung hervor, wenn sie zu dominant ist. Wie Kurzformate.
Eine allgemeine Skepsis gegenüber dem Silicon Valley.
Ich persönlich würde mich erstmal freuen, wenn die Beobachtungen stimmen würden. Vielleicht lesen Menschen dann sogar irgendwann wieder mehr Bücher? Aber leider ist die Datenbasis dünn: Dass Menschen mehr Zeit mit langen YouTube-Videos als mit Shorts verbringen, liegt vielleicht daran… dass die Videos länger sind? Und könnten die Langformate im Streaming-Bereich womöglich auch deshalb für die Produzenten interessant sein, weil sich in ihnen mehr Werbung schalten lässt?
Wie gesagt, ich fände es spannend, wenn Gioia wirklich einen Trend beobachtet. Seine Analyse der Dopamin-Kultur (siehe Ausgabe #84) ist weiterhin absolut hilfreich. Doch die Identifikation eines Gegentrends erscheint bislang vor allem eine Hoffnung.
Was ist los bei Neura Robotics?
Kognitive Robotik ist weiterhin ein Hype-Thema (siehe auch Ausgabe #127). Und die Metzinger Firma Neura Robotics ein deutscher Hoffnungsträger auf dem Markt für humanoide Roboter. Das Start-up versucht gerade, eine Fundingrunde mit einem Volumen von einer Milliarde Euro zu stemmen.
Am Dienstag auf der Robotik-Messe Automatica in München präsentierte die Firma ihr Flagship-Modell 4NE1 - Deutschlands ersten autonomen humanoiden Roboter, der zunächst vor allem in der Industrie zum Einsatz kommen soll (Preis: etwa 50.000 Euro). Doch es lief nicht alles nach Plan. Im Gegenteil: Das, was Bloomberg berichtet, könnte aus dem Drehbuch der TV-Comedyserie Silicon Valley stammen (übersetzt):
“Am Dienstag wollte [CEO] David Reger auf einer Konferenz in München den, wie er sagte, ‘besten humanoiden Roboter der Welt’ vorstellen. Nur steckte das Kronjuwel seiner Erfindung irgendwo auf der Autobahn fest.
Wie es sich für einen guten Showman gehört, legte Reger trotzdem los und zog vor versammelter Menge dramatisch ein schwarzes Tuch von der Kreation seines Start-ups. ‘Ich werde es etwas kürzer machen, weniger spektakulär, als wir es geplant haben’, sagte er.
Alle knipsten Fotos. Der Roboter stand still.
(…) Der CEO sagte, dass er und seine Ingenieure bis zu diesem Morgen an den neuen Modellen, vier verschiedenen Maschinen, getüftelt hätten. ‘Wir haben versucht, die letzten Kleinigkeiten zu optimieren’, sagte er. ‘Und das ist auch der Grund, warum die Roboter festsitzen.’ Ein Unternehmenssprecher sagte später, eine unerwartete Straßensperrung auf der deutschen Autobahn habe zu der Verzögerung beigetragen.
(…) Am Mittwochmorgen kündigte das Unternehmen an, die neuen 4NE1-Geräte zu zeigen, sobald sie von der Autobahn abgefahren seien. Am Nachmittag waren sie aber immer noch nicht da. Reger kam zu dem Schluss, dass seine Roboter noch nicht gut genug waren, um sie vorzuführen.”
Das sind ziemlich viele Red Flags für eine Firma, die gerade ein Milliarden-Funding sucht. Und steht in der Tradition von Präsentationen humanoider Roboter, die entweder in die Hose gehen oder nur mit Tricks funktionieren.
In einer besseren Welt wären die Roboter natürlich mit dem Lilium-Flugtaxi von der Autobahn geholt worden.
Wäre mit das Ganze nicht zufällig in einem Bloomberg-Newsletter begegnet, hätte ich gar nichts davon mitbekommen. In anderen Medien fand ich einige (Vorab?-)Interviews mit dem CEO, in denen die gefloppte Präsentation aber keine Rolle spielte; Social Media wiederum hatte ein paar Hype-Clips des tollen Roboters zu bieten. Nur dass die halt aus Footage aus den Firmen-Videos bestanden, die schon seit Monaten im Netz zu finden sind.
Mit dem Wissen über das reale Geschehen wirkt das PR-Video von Neura Robotics und der Versuch, mit einem herumstehenden Dummy eine dynamische Produktpräsentation zu simulieren, noch einmal ganz anders. Silicon Valley, Staffel irgendwas. Ich muss immer noch grinsen. :-)
Links
Wird der DMA zur Verhandlungsmasse im transatlantischen Zollstreit? (Ja, sagt das Handelsblatt)
Urteil in den USA: Bücher-Crawling für KI ist Fair Use.
Aktionstag der Polizei: 65 Durchsuchungen wegen Hate Speech.
Norwegen: Hacker öffnen Staudamm-Klappe.
Ein unzufriedener Autor von KI-Erotik.
Kritik am Prozess zur Auswahl des EU-Datenschutzbeauftragten.
EU-Kommission stellt Fahrplan für Datenzugang für Polizeien vor.
Gesichtserkennung in Frankreich: Was geht und was nicht geht.
VCs überbieten sich, um bei Anysphere (Cursor.ai) einzusteigen. ($)
Silicon Valley: Ära der “tiny teams” ($)
Arbeitgeber versinken in KI-generierten LinkedIn-Bewerbungen. ($)
Tech-Fonds der NATO: Geldverschwendung droht.
Instrument für Intransparenz: NDAs in der KI-Branche.
Digitalisierung des Gesundheitswesens: Weiter keine Einheitlichkeit. (€)
Kein Akzent mehr: Wie KI indische Call Center verändert.
Berlin: Delivery Hero, HelloFresh, Omio - welche Tech-Firma ist am unseriösesten?
Bis zur nächsten Ausgabe!
Johannes