Aus dem Internet-Observatorum #124
Musk, IT-Systeme und die drohende amerikanische Verfassungskrise
Hallo zu einer neuen Ausgabe! Es gibt noch viele andere Themen, aber manche Dinge sind so komplex, dass alles andere keinen Platz mehr findet. In diesem Sinne: Willkommen zu einer sehr politischen Ausgabe.
Musk, IT-Systeme und die drohende amerikanische Verfassungskrise
Das Problem mit einer Trump-Regierung (ich erinnere mich dabei noch an meine Zeit als US-Korrespondent zurück): Die groß erscheinenden Dinge sind oft in der Realität ganz klein, und die kleinen Dinge manchmal sehr groß.
Das betrifft auch Elon Musk und seine Teil-Übernahme der bundesbehördlichen IT-Infrastruktur. Berichten zufolge haben Musk und seine Leute aus der Nicht-Behörde DOGE vor Ort in der Behörde für Personalverwaltung Zugang zu Datenbanken und damit laut Washington Post ($) auch zu den Personalakten aller Regierungs- und Bundesbehörden-Mitarbeiter. Sie haben außerdem einen eigenen E-Mail-Server installiert, wahrscheinlich, um von dort die Abfindungsangebote zu verschicken.
Im Finanzministerium wiederum sind sie in irgendeiner Form mit den Zahlungssystemen der Regierung zugange, die jährlich fünf Billionen US-Dollar abwickeln. Bei den Zahlungssystemen ist offenbar vor allem das Hauptsystem Payment Automation Manager (PAM) relevant, das Regierungsgelder innerhalb des Landes an die Bundesstaaten, Institutionen und Dienstleister schickt. Ähnlich brisant ist die Rolle des International Treasury Payments (ITP), von dem Gelder an andere Länder (zum Beispiel in der Entwicklungshilfe) gehen.
Unklar ist, ob der Zugriff auf das Zahlungssystem nur Lese-, oder auch Schreibzugriff/Adminrechte enthielt. Letzteres berichten Bloomberg, Nathan Tankus und Wired und nennen den 25-jährigen Uni-Absolventen Marco Elez als Entwickler, der sich mit dem weitestgehend auf einer alten COBOL-Architektur beruhendem System auseinandersetzt.
Die US-Regierung hatte einen Schreibzugang dementiert, inzwischen hat das US-Justizministerium nach mehreren Klagen zugestimmt, den Zugang auch gerichtlich zu begrenzen. Elez hat jedoch weiterhin mindestens Lesezugriff, wahrscheinlich sogar Schreibzugriff (allerdings wohl “insert” statt “alter”). Derzeit gibt es sowieso berechtigte Zweifel, ob die DOGE-Leute und die US-Regierung überhaupt die Wahrheit sagen, was ihr Treiben angeht.
Ist das eine Form von digitalem Staatsstreich oder der planlose Versuch, irgendwie an den IT-Systemen der US-Regierung rumzudoktern? Musk sagt: Es geht ums Geld.
Aber Musk erzählt viel, wenn der Tag lang ist.
Nach allem, was ich gelesen habe (unter anderem in diesem wunderbar detaillierten Newsletter und diesem hilfreichen Reddit), würde ich das alles so interpretieren:
DOGE ist der Versuch, auf verschiedene Arten und Weise Regierungsbehörden und -programme zu zerstören.
Per Einstellung von Zahlungen (vgl. Zugang Zahlungssystem).
Per de facto Schließung (bereits geschehen bei der Entwicklungsbehörde USAID, geplant beim Bildungsministerium)
per Privatisierung (womöglich bei der Wetter- und Klimabehörde NOAA)
per Massenentlassungen und der Automatisierung zahlreicher Prozesse mittels nicht näher benannter Künstlicher Intelligenz (“AI First Strategy”).
Der Zugang zu den Zahlungssystemen könnte drei Zwecken dienen:
Der Analyse von Zahlungen der US-Regierung zum Zweck von Einsparungen bei “überflüssigen” Programmen, sowie die öffentliche Skandalisierung von bestimmten Zahlungen nach der Musk’schen Methode der Twitter-Files.
Die Installation von (nicht näher benannter) KI für die Automatisierung von Zahlungsabläufen.
Die Sysadmin-Kontrolle über Zahlungsausgänge und -genehmigungen, um so im Kern missliebige und vermeintlich überflüssige Abteilungen und Programme “verhungern” zu lassen.
Das ganze Vorgehen ist aus verschiedenen Gründen illegal: Die DOGE-Leute sind keine Regierungsmitarbeiter. Sie haben keine Security Clearance. Der Zugriff auf Mitarbeiterakten verstößt gegen regierungsbehördliche Datenschutzregeln. Trump kann nicht einfach vom Kongress ins Leben gerufene Behörden schließen.
Institutionell besonders heikel, genauer gesagt verfassungswidrig im XXL-Format, wäre jedoch eine mögliche Blockade von Zahlungen. Denn eigentlich hat der US-Kongress die “Macht der Geldbörse”. Die Regierung darf im Haushalt vereinbarte Zahlungen nicht einfach blockieren. Eigentlich. Denn eigentlich darf der Präsident ja auch ein Gesetz wie das TikTok-Verbot nicht einfach per Executive Order außer Kraft setzen. Und die Kongressmehrheiten sind bei den Republikanern, denen alles egal ist.
Das alles hat nicht nur mit Tech zu tun, weil es um technische Systeme geht. Gabe Fleisher notiert in seinem Newsletter (übersetzt):
“Es gibt ein neues Mantra, das in letzter Zeit in der Welt der Technik die Runde macht: “Du kannst Dinge einfach tun”.
Es begann als motivierendes Schlagwort für Entwickler (“Just do it” für Nerds, wie ein Silicon-Valley-Bewohner es ausdrückte), hat aber schnell - wie alles aus der Tech-Welt, so scheint es - seinen Weg in die Politik gefunden (der rechts Slogan der Elon-Musk-Ära, sagt ein anderer Autor).
Der konservative Radiomoderator Larry O'Connor nannte es die “wesentliche” Erkenntnis der zweiten Amtszeit von Präsident Trump.”
Und Elizabeth Lopatto erinnert in The Verge daran, dass Elon Musks Version des “Du kannst Dinge einfach tun” sich einfach aus den Erfahrungen im Umgang mit amerikanischen Institutionen speist.
“Elon Musk hat die unheimliche Fähigkeit, herauszufinden, welche der amerikanischen Regeln echt sind. Es stellt sich heraus, dass die Bestrafung durch die [Arbeitsbehörde] National Labor Relations Board nicht echt ist, die Bestrafung durch die NASA nicht echt ist und die Bestrafung durch die [Luftfahrtbehörde] FAA nicht echt ist. Der Delaware Chancery Court [der Musk zwang, die Twitter-Übernahme durchzuziehen, jk] dagegen ist extrem echt. Mit Blick auf die vergangenen beiden Wochen ist das Delaware Chancery Court vielleicht das einzig Echte in der gesamten amerikanischen Regierung.”
Und John Herrman betrachtet das Ganze etwas spekulativ auch als Wette des Konzern-Eigentümers Musk, der mit DOGE KI-Regierungsaufträge vorbereitet (übersetzt):
“Sollte es Musk gelingen, [mit seiner Technologie] Teil der Regierung[ssysteme] zu werden, wäre sein nächster großer Pitch vor Investoren nicht so spezifisch, und er müsste ihn kaum noch verbalisieren: “Stellen Sie sich eine Welt vor, in der ich nicht verlieren kann.”
Es ist ein düsteres Versprechen, das einige sicherlich berauschend finden werden (im Moment scheint der Markt irgendwo zwischen unbeeindruckt und besorgt zu sein). Vielleicht handelt es sich um einen historischen Schnellschuss und er findet irgendwie eine Ausweichmöglichkeit, oder die verschiedenen Interventionen von DOGE sind weniger umfangreich, als Musk sie derzeit erscheinen lassen will.”
Kurz: Es geht bei der Frage, ob “Du kannst Dinge einfach tun” der Realität entspricht, um die Zukunft der USA. Im Umgang mit dem reichsten Mann der Welt. Aber auch mit Blick auf die Zukunft der demokratischen Institutionen.
Drei Stichworte sind hier relevant: Eines lautet “Unitary Executive Theory” ("Theorie der einheitlichen Exekutive"). Die Macht des US-Präsidenten über die Exekutive wird dabei als “vollständig” interpretiert. Heißt: Er kann über alles entscheiden, was dort passiert. Im Zweifel auch Behörden schließen, die der Kongress einst per Gesetz beschlossen hatte.
Das Konzept existiert schon seit dem späten 18. Jahrhundert, aber hatte besonders unter Richard Nixon und in der Amtszeit von George W. Bush Konjunktur. Manch eine/r erinnert sich vielleicht: Unter Bush ging es darum, Kriege und Anti-Terror-Maßnahmen ohne gesetzliche Grundlage oder Mitsprache des Kongress durchzusetzen.
Im Zusammenhang mit Trump/Musk ist hier auch der Impoundment Control Act relevant, der nach der Nixon-Ära verabschiedet wurde. Demnach muss der US-Präsident das Geld so ausgeben, wie es der Kongress beschlossen hat. Es gilt als wahrscheinlich, dass Trump den Impoundment Control Act auf die Probe stellen wird und sogar auf eine gerichtliche Klärung hinarbeitet. Denn die sechs republikanisch nominierten Richter des Supreme Courts gelten durchaus als Anhänger der “Unitary Executive Theory”. Breit ausgelegt könnte der US-Präsident de facto den Kongress in Geldfragen überstimmen und nach eigenem Belieben Zahlungen blockieren (zum Beispiel an unliebsame US-Bundesstaaten).
Das dritte Stichwort lautet “Trail of Tears” (Pfad der Tränen). Der Vertreibung der Indigenen aus dem amerikanischen Südosten ging nämlich ebenfalls ein institutioneller Konflikt voraus: Im Fall Worcester v. Georgia (1832) entschied der Supreme Court, dass die Cherokee ein eigenständiges Volk sind - und damit die Gesetze des US-Bundesstaats Georgia, in dem sie lebten, keine Gültigkeit hätten. “Indianernationen” seien "eigenständige, unabhängige politische Gemeinschaften", betonte Chief Justice Marshall.
Der damalige US-Präsident Andrew Jackson allerdings ignorierte das Urteil. Der Supreme Court verzichtete aus Angst vor einem Konflikt zwischen Exekutive und Judikative darauf, das Gesetz durch U.S. Marshals durchsetzen zu lassen. Und so setzte Jackson die Vertreibung der Cherokee fort. Heißt: Die Judikative ist nur stark, wenn das von ihr gesprochene Recht auch durchgesetzt werden kann.
Für den Fall Trump wäre dies die Parallele: Ein hohes Gericht, vielleicht sogar der Supreme Court, könnte die DOGE-Aktion - und diverse andere exekutive Aktionen wie die Abschiebung ohne Rechtsgrundlage - für illegal erklären. Sollte Trump sich weigern, würde bei Gericht ein Antrag gestellt werden, dass die Anordnung eingehalten wird. Ignoriert Trump diese zweite Anordnung, ist die Verfassungskrise perfekt. Es würde nun tatsächlich darum gehen, ob U.S. Marshals den US-Präsidenten bzw. die betroffenen Behörden dazu zwingen würden, die Anordnung umzusetzen. Und ob sie es z.B. gegen das US-Militär könnten. Gewinnt Trump diesen Konflikt, wäre dies der Anfang vom Ende der Gewaltenteilung. Die Tür für den Beginn einer Willkürherrschaft wäre geöffnet.
Soweit ist es aber noch nicht. In der ersten Trump-Amtszeit hielt sich die Regierung an Gerichtsurteile, auch jetzt sieht es zumindest oberflächlich so aus. Womöglich, weil man auf die Unterstützung des Supreme Courts spekuliert.
Noch ist es kein “stiller Putsch”. Allerdings haben Technologie und auch die Vertreter der Tech-Kultur die Angewohnheit, besonders schnell Fakten schaffen zu können. Schneller, als Gerichte auf Dauer reagieren können.
Und die geschaffenen Fakten können, wie bei der Abwicklung von USAID, einer möglichen Zahlungsblockade für Regierungsprogramme oder sogar einem Zusammenbruch von PAM oder ITP konkrete Folgen für Hunderte, Tausende, Hunderttausende, Millionen, vielleicht sogar Milliarden Menschen haben.
Doxxing als Online-Strategie des Autoritarismus
Ich will im Musk-Komplex noch zwei Online-Strategien erwähnen, die gerade zur Anwendung kommen.
Die erste ist die bereits in vielen Medien erwähnte Löschung Abertausender Webseiten der US-Regierung mit Informationen über Impfstoffe, die Versorgung von Kriegsveteranen, Alzheimer-Warnsignale, Klima-Statistiken, Hassverbrechen und Forschungsergebnisse. Eine sinnlose Machtdemonstration, die die USA im Kern dümmer machen.
Noch beunruhigender ist die zweite Strategie: Doxxing von Regierungsmitarbeitenden. Es gibt inzwischen eine ganze Reihe von Websites, die Staatsbedienstete an den Pranger stellen und als Feinde markieren. Zum Beispiel diese hier im Kontext von Einwanderungsbehörden (Namen und Position habe ich nicht mit gescreenshotet):
Teilweise werden diese Seiten offenbar konservativen Thinktanks zugerechnet. Auch Elon Musk retweetete Nachrichten, in denen namentlich genannte Staatsbedienstete zum Gegner erklärt wurden.
Doxxing und der öffentliche Social-Media-Pranger sind tatsächlich die wichtigsten Werkzeuge der amerikanischen und auch internationalen Neoreaktionären. Umso schlimmer, wenn diese Taktik aus dem Umfeld der US-Regierung angewendet wird. Das Doxxing seiner Gegner ist der digitale Terror des neuen Autoritarismus.
Leider ist es durchaus realistisch, dass diese schäbige Strategie in den kommenden vier Jahren Menschenleben kosten wird.
Links
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Bis zur nächsten Ausgabe!
Johannes