Hallo und ein gutes neues Jahr! Eigentlich wollte ich auf die Themen des Jahres 2025 blicken, aber das hole ich kommende Woche nach. Aus aktuellem Anlass deshalb:
Zuckerbergs Entscheidung
Wie ich am Dienstag bereits in meinem anderen Newsletter schrieb: Das Zuckerberg-Video mit den Policy-Änderungen schlug bei mir ziemlich ein. Hier verkündete der CEO eines digital-globalen Weltstaates einen radikalen Kurswechsel, und das im MAGA-Duktus. Aber was für einen Kurs, mit welchen Überlegungen und Folgen und was entsteht da gerade?
Gestern hatte ich beruflich den ganzen Tag mit dem Thema zu tun. Meine eingesammelten Reaktionen aus Deutschland für den Deutschlandfunk und ein paar DSA-Erklärungen lassen sich hier nachhören, die Kollegin Annabel Brockhues hat aus Brüssel berichtet. Und dann habe ich das Ganze noch kommentiert. Die (aus Zeitgründen kürzere) Audio-Version des Kommentars findet sich hier. Hier das Manuskript des gesamten Kommentars:
Bündnis von Oligarchie und Politik: Meta ist jetzt MAGA
“Meta ist jetzt also MAGA. Mark Zuckerberg positioniert seinen Konzern eindeutig an der Seite von Donald Trump und der Make-America-Great-Again-Bewegung.
Das Verhalten Zuckerbergs gegenüber Trump ist geschäftlich bedingt, im Stil aber devot.
Zunächst setzte er Trump-Loyalisten in den Aufsichtsrat und auf den Chefdiplomaten-Posten der Firma.
Bei der Vorstellung der Policy dann klang der 40-Jährige, als sei er schon immer heimlich ein Trumpist gewesen. Nur die Biden-Regierung und die ach so bösen Altmedien hätten ihn gedrängt, zu zensieren.
Was Zuckerberg im MAGA-Duktus “Zensur” nennt, sind in der Realität externe Faktenchecks und die Löschung diskriminierender Inhalte.
Und sicher: Faktenchecks wurden, gerade in den USA, vereinzelt politisiert. So löschte Facebook 2021 auf Druck der US-Regierung Postings, wenn dort ein chinesisches Labor als Ursprungsort des Coronavirus vermutet wurde. Doch stattdessen auf Prüfung von vermeintlichen Tatsachenbehauptungen in viralen Beiträgen völlig zu verzichten und diese Verantwortung der Nutzerschaft zu geben, ist naiv. Und fahrlässig.
Allerdings, und das dürfte ein Teil des Kalküls sein: Zuckerberg spart damit eine Menge Geld für angestellte Moderatoren und Dienstleister.
Und sicher auch: es lässt sich darüber diskutieren, ob die amerikanischen Progressiven in ihrer diskursiven Vorherrschaft der Zehnerjahre nicht allzu viel allzu schnell für unsagbar erklärt haben. Doch hilft es da, dass Transmenschen nach den neuen US-Hausregeln bei Facebook und Instagram als geistesgestört bezeichnet werden dürfen?
Nein, das alles folgt keiner Logik, sondern ist Zuckerbergs Zugeständnis, um von Trump und den Republikanern geschäftlich in Ruhe gelassen zu werden. Dazu gehört auch die angekündigte Lockerung der Inhalte-Filter. Facebook und Instagram dürften in den USA damit X ähnlicher werden – mehr Lügen, mehr verbaler Dreck. Zuckerberg kopiert Elon Musk.
Immerhin: In der Europäische Union sind Meta Grenzen gesetzt. Mit dem Digital Services Act (DSA) existiert eine ausgewogene Regulierung. Dass Zuckerberg die als Zensur bezeichnet, ist Unsinn: Die Plattformen müssen Inhalte löschen, die gegen die Gesetze im jeweiligen EU-Land verstoßen. Und: Die Verbreitung von Falsch- und Desinformation müssen Meta, X und Co als systemisches Risiko zumindest adressieren. So kann Zuckerberg zwar die Faktenchecker-Verträge in Europa kündigen, er muss aber für adäquaten Ersatz sorgen.
Die Durchsetzung des DSA wird für Europa zum Lackmusttest: Im Verhältnis gegenüber Meta, X und Co. Aber auch in den transatlantischen Beziehungen. Denn Musk und auch Zuckerberg lassen keinen Zweifel daran, dass sie die bestehende Regulierung mit Trump an ihrer Seite bekämpfen werden.
Hier liegt die geopolitische Komponente des Zuckerberg-Kurswechsels: Immer deutlicher zeichnet sich ein Bündnis zwischen amerikanischer Tech-Oligarchie und der kommenden Trump-Regierung ab.
Der globale, aber bislang vorwiegend geschäftliche Machtanspruch der US-Plattformen fusioniert dabei mit dem politischen Machtanspruch des „America First“. Zuckerbergs Auftritt zeigt: Big Tech beginnt, sich hinter Trump zu versammeln. Im sich anbahnenden Konflikt mit Europa werden diese Firmen nur die Sprache der Macht verstehen.”
Soweit mein Kommentar. Natürlich fallen in 2:45 Minuten Nachdenklichkeit und Details etwas hinten runter. Deshalb weiter unten noch ein paar zusätzliche Gedanken. Dafür bitte unten weiterlesen. Erst einmal als Service:
Wer es verpasst hat - darum ging es in der Ankündigung
Meta wird das Faktencheck-Programm in den USA einstellen und stattdessen die Community dazu anregen, Beiträge zu kommentieren, ähnlich wie X es mit Community Notes tut.
Zuckerberg wirft Faktencheckern vor, politisch voreingenommen zu sein und das Vertrauen der Nutzerïnnen beschädigt zu haben.
Meta wird die Nutzungsbedingungen anpassen und insbesondere bei Kommentaren zu Migration, LGBTQ und Gender weniger löschen und zum Beispiel Aussagen wie “Wer homosexuell ist, ist geisteskrank” zulassen.
Zuckerberg lockert die automatischen Filter, die seiner Ansicht nach zu Overblocking geführt haben. Die KI-Algorithmen des Konzerns werden künftig fast nur noch bei schwerwiegenden Verstößen wie Terrorismus oder Kindesmissbrauch automatisch eingreifen.
Weniger gravierende Verstöße sollen künftig von den Nutzern selbst gemeldet werden.
Das Moderationsteam wird von Kalifornien nach Texas verlegt, tatsächlich dürfte die Ankündigung mit einem massiven Stellenabbau im Bereich Community-Management verbunden sein.
Politische Themen sollen wieder stärker auf den Plattformen präsent sein, nachdem sie über Jahre hinweg eingeschränkt wurden (ironischerweise untersucht die EU-Kommission diese Depriorisierung gerade, man bewegt sich hier also in die europäische Richtung).
Meta plant, gemeinsam mit Trump gegen Zensurmaßnahmen in den USA und der EU vorzugehen und die “Meinungsfreiheit” zu verteidigen.
Weitere Aspekte und Gedanken
Überzeugungen: Was ich im Kommentar nicht thematisiert habe, aber zum Beispiel Simon in der SZ (€) erwähnt: Zuckerbergs “Richtungsschwenk” geht natürlich in Richtung seiner eigentlichen Überzeugungen. 2019, nachdem er zwei Jahre zuvor auf Druck der Demokraten und der Zivilgesellschaft auf die Linie “Es braucht mehr Moderation” eingeschwenkt war, hielt er eine Rede zur Meinungsfreiheit in Georgetown. Sie ist sehr nachlesenswert, weil er darin einige der real existierenden Rollen-Konflikte skizziert, in die Meta als Plattform-Betreiber gerät. Auch hier klingt schon die Sorge über die Entwicklung durch, die er jetzt im MAGA-Stil kritisiert.
Trumps Drohungen: Ganz kurz erwähnt sei, dass Trump Zuckerberg mehrmals gedroht hat, unter anderem bei weiteren angeblichen Wahlbeeinflussungen mit lebenslangem Gefängnis. Und da war ja dann auch noch die Plattform-Sperre für Trump bei Instagram und Facebook nach dem 6. Januar 2021. John Herrman erinnert in seiner Kolumne auch daran, dass Zuckerberg politisch seit 2016 zwischen den Stühlen saß: Die Republikaner warfen ihm Zensur vor, die Demokraten machten ihn für das immer rauere politische Klima verantwortlich.
Der DSA: In meinem Radiobericht und diversen anderen Stücken kommt auch die Rolle des DSA vor. Kurz gesagt: Meta kann ziemlich viel ändern, muss aber adäquaten Ersatz liefern, sofern ein Schritt das Risiko für irgendetwas erhöht. Meta kann also Faktenchecker-Dienstleister in Europa rausschmeißen, muss aber in der Risiko-Bewertung und -Minimierung darlegen, wie man stattdessen gegen Falsch- und Desinformation vorgeht. Die EU-Kommission untersucht ja ohnehin schon, welche Folgen die Streichung 20 Prozent der Moderatorenstellen hat. Der geschätzte Julian Jaursch von Interface erinnert übrigens daran, dass Facebook und Instagram Factchecking in ihren Risikoberichten als positiven Faktor dargestellt haben. Das könnten sie natürlich auch von Community Notes behaupten, wenn die jetzt nach Europa kommen. Die Frage ist, was die EU-Kommission dann als Nachweis für diese Behauptung verlangt.
Grenzen des DSA: Ich komme ja immer wieder auf das Thema zurück: Es bräuchte für Social-Media-Plattformen eigentlich gut finanzierte Echtzeit-Forschung mit handlungsschneller Regulierung jenseits des bestehenden Notfallmechanismus. Noch hakt es ja sogar beim Datenzugang (auch das Teil der Kommissionsermittlungen).
Rolle TikTok: Ein relevanter Punkt, der sicher mehr Beachtung verdient, ist die Konkurrenzsituation zwischen Meta/Instagram und TikTok. Und die Tatsache, dass Trump die Zukunft des möglichen TikTok-Verbots in der Hand hat. Am 10. Januar (also Freitag) verhandelt der Supreme Court den Fall, am 19. Januar würde das Verbot in Kraft treten, es sei denn a) der Supreme Court kippt es oder b) der Supreme Court folgt der Bitte Trumps, das Verbot wegen neuer Verhandlungen bis nach seiner Amtsübernahme auszusetzen.
Rolle Section 230: Zuckerbergs Kotau ist natürlich auch vor dem Hintergrund der Debatte rund um die Haftungsfreiheit für Plattform-Inhalte zu sehen (die berühmte “Section 230”). Trump hatte hatte 2020 als Präsident noch per Exekutiverlass angewiesen, das Gesetz so zu interpretieren, dass Plattformen, die “zensieren”, keinen Schutz unter dem Gesetz genießen. Materiell geändert hat sich nichts. Der Supreme Court hätte seitdem zwei Möglichkeiten gehabt, über Section 230 zu entscheiden: Einmal lehnte man es ab, den Paragraphen in eine Entscheidung zu berücksichtigen, das andere Mal (“NetChoice”) verwies man die Entscheidung zurück an die unteren Gerichte, signalisierte aber, dass Plattformen sehr wohl das Recht auf Moderation von Inhalten haben (Texas und Florida hatten Gesetze verabschiedet, dass Anbieter Politiker wie Trump nicht mehr sperren dürfen, vgl. 2021). Zumindest in dieser Hinsicht hat Zuckerberg nun etwas die Luft aus der Sache gelassen.
Nur eine Geste? Derek Robertson von Politico hinterfragt die These, dass Zuckerberg vor Trump auf die Knie geht. Faktenchecks hätten ohnehin nicht viel gebracht, zudem streichen die Tech-Konzerne inklusive Meta schon seit Jahren bei der Moderation. Eigentlich gehe es um die algorithmische Ebene - und im Falle von Zuckerberg um eine Geste gegenüber der republikanischen Partei
Die Meinungsfreiheitsdebatte: Ben Thompson ($) ist jemand jenseits der konservativ-bis-reaktionären Bubble, der Zuckerbergs Schritt für konsequent und richtig hält. Dabei erklärt er auch, warum er von seiner Haltung im Sinne von “Die Firmen dürfen ihre Moderationspolicy selbst entscheiden” zu einem “Die Firmen müssen Meinungsfreiheit gewährleisten” gekommen ist. Übersetztes Zitat
“Ich war entsetzt darüber, wie stark die Zensur - scharfe Vorschläge, unterstützt durch die implizite Androhung von regulatorischen Maßnahmen (oder Untätigkeit), wenn man genau sein will - unter der neuen US-Regierung wurde. Einige der eklatantesten Beispiele betrafen COVID, aber die Auswirkungen waren weit verbreitet; mir wurde bald klar, dass der Abhang in der Tat rutschig war, und es war ein Fehler, meine zuvor prinzipientreue Position aufzugeben und einen Schritt über die Kante zu machen.”
(fortgesetzt) In meinem DLF-Kommentar habe ich den Punkt mit Covid ja bereits angerissen. Hinzu kommt: Die Progressiven haben in den Zehnerjahren, als sie die Diskursherrschaft hatten, den Bogen überspannt. Natürlich sollten Diskussionen über die Rolle des biologischen Geschlechtes fair geführt werden, solche Debatten aber wie in den USA geschehen gleich in die Nähe von Hatespeech zu rücken, geht an der Realität oder zumindest dem Empfinden der Mehrheit vorbei. Vielleicht wäre auch eine bessere, ehrlichere Migrationsdebatte möglich gewesen (die verzerrende Überkorrektur durch die Parteien der Mite erleben wir seit vergangenem Sommer). Demgegenüber stehen natürlich die Taktiken von weiten Teilen der reaktionären Rechten - die nutzen besagte Offenheit für Verzerrungen bis Falschinformationen, für Tabubrüche und Overtonfenster-Verschiebungen. Und sie setzen auch Mobbing-Strategien ein. Es ist also ziemlich knifflig und weiterhin heikel, die Verantwortung für die Steuerung an die Plattformen zu geben. Denn die sind keine neutralen Akteure sondern richten sich nach dem Zeitgeist oder versuchen wie Musk, ihn selbst zu verändern.
Tech-Allignment und Geopolitik: Eigentlich das Spannendste daran und sicher dieses Jahr hier häufiger auftauchend. In Ausgabe #114 schrieb ich zu Musk und Trump:
“Das neue politischen Bündnis des reichsten Mannes der Welt mit dem künftig (formal) mächtigsten Politiker der Welt bringt deshalb eine Konstellation hervor, die in der modernen Geschichte einmalig sein dürfte. Das Wort “Oligarchie” wird dieser Dimension nicht einmal völlig gerecht.”
(fortgesetzt): Was aber würde es bedeuten, wenn auch andere Tech-Oligarchen sich nun in den Dienst von Trump stellen? Zuckerberg indirekt, Bezos und Co. mit Demutsgesten und Unterstützung bei der Agenda zur Deregulierung. Ist das nun die Vorarbeit für einen neoreaktionären Staat (siehe Ausgabe #101), dessen Pfeiler ein globaler Tech-Stack ist, der imperiale Träume nicht nur geschäftlich, sondern auch politisch umsetzt (sofern Trump und die Trumpisten nicht das Interesse verlieren)? Falk (€) macht sich in seinem Newsletter Gedanken darüber, die sachbezogener als solche Spekulationen sind. Tatsächlich geht es ja um konkret Europas digitale Souveränität: Die ist einerseits technisch weitestgehend eine Scheinexistenz, aber immerhin rechtlich vorangetrieben worden. Was auch bedeutet, dass sie nur in einer auf Rechtsnormen und Verträgen basierenden Welt Wirkung entfalten kann. Womit wir aber wieder bei meinem Kommentar oben wären: Wenn amerikanischen Tech-Firmen sich 2025 mit Trump verbünden und im Konflikt mit Europa nur die Sprache der Macht verstehen, heißt das für die nächsten Jahre… genau was? (Und sagt jetzt bitte nicht: einfach den DSA konsequent durchsetzen)
Links
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Bis zur nächsten Ausgabe!
Johannes