Aus dem Internet-Observatorium #92
KI und Rechenzentren: Die Energiefrage wird drängender / Amerikas TikTok-Gesetz im historischen Kontext / Musk gegen Moraes
Hallo zu einer neuen Ausgabe! Trotz Sitzungswoche des Bundestages pünktlich, ich bin selbst überrascht…
KI und Rechenzentren: Die Energiefrage wird drängender
Mark Zuckerberg dachte vor einigen Tagen im Podcast von Dwarkesh Patel laut über Flaschenhälse in der KI-Entwicklung nach: Die Versorgung mit Prozessoren sei für das Training von großen Sprachmodellen nicht mehr das Problem, so der Meta-Chef. Auch die Kapitalfrage stelle sich noch nicht (*für seinen Konzern). Vielmehr gehe es um etwas anderes: Energie.
“Derzeit existieren viele Rechenzentren in der Größenordnung von 50 Megawatt oder 100 Megawatt, ein großes Rechenzentrum kann sogar 150 Megawatt haben. (…) Aber wenn man anfängt, ein Rechenzentrum mit 300MW oder 500MW oder einem Gigawatt zu bauen… niemand hat bis jetzt ein 1GW-Rechenzentrum gebaut.
Ich denke, das wird passieren. Es ist nur eine Frage der Zeit, aber es wird nicht nächstes Jahr sein. Einige dieser Dinge werden Jahre brauchen, bis sie fertig sind. Nur um die Dimensionen klar zu machen: Ein Gigawatt bedeutet die Größe eines nicht-so-kleinen Kernkraftwerks - und das nur, um ein großes Sprachmodell zu trainieren.”
Damit meint Zuckerberg keine klassischen Rechenzentrums-Cluster, die in Summe bereits über ein Gigawatt kommen - sondern Spezial-Rechenzentren für das Training und Deployment von großen KI-Modellen (LLMs). Die Server dort verbrauchen im Schnitt das vier bis 14-fache eines regulären Servers.
Das Thema “Energieverbrauch von KI” ist latent schon lange präsent, aber zuletzt wurden die Bedarfe und die Folgen für die Stromnetze greifbar.
Eine ganze Reihe von US-Bundesstaaten haben die Schätzungen für ihren Energiebedarf deutlich nach oben korrigiert, teilweise verdoppelt. Hintergrund: Weil an Orten mit ausreichend Fachpersonal, guter Internet-Infrastruktur und Subventionen fast kein Platz mehr ist ist, werden Rechenzentren nun auch an Orten gebaut, die früher nicht besonders attraktiv waren.
Die 82 aktiven und 14 geplanten Rechenzentren in Irland könnten bereits 2026 gut ein Drittel des nationalen Energieverbrauchs ausmachen, so die IEA in einer (allerdings umstrittenen) Schätzung.
Die Synergy Research Group stellt fest, dass sich die Hyperscaler-Kapazität (also die Kapazität von Großrechenzentren) seit 2020 weltweit verdoppelt hat und prognostiziert, dass sie sich bis 2028 nochmals verdoppeln wird.
Einem Paper im Fachmagazin Joule zufolge werden KI-Server im Jahr 2027 insgesamt 100 Terawattstunden Strom verbrauchen, das wären dann ein Viertel bis ein Fünftel des Gesamtverbrauchs von Rechenzentren insgesamt.
Bereits im März berichtete The Information über den Plan von Microsoft und Open AI, für 100 Milliarden US-Dollar ein Großrechenzentrum inklusive Supercomputer zu bauen (“Stargate”). Ob das Projekt realisiert wird, steht nicht fest. Zum Vergleich: Meta möchte in diesem Jahr etwa 30 Milliarden Euro in seine Rechenzentrumsstruktur investieren.
Vergangene Woche zitierte Business Insider interne Microsoft-Dokumente: Seit Juli 2023 hat Microsoft mehr als 500 Megawatt neue Rechenzentrumskapazität hinzugefügt, man liegt damit inzwischen über fünf Gigawatt Gesamtkapazität. Im zweiten Halbjahr 2024 soll die Kapazität verdoppelt, bis zum Ende des ersten Halbjahrs 2025 verdreifacht werden. Wenn BI die Zahlen richtig interpretiert, wären das am Ende 15 Gigawatt oder auch 200 Megawatt pro Monat. Das entspräche einem Bedarfszuwachs von acht bis zehn Atomkraftwerken innerhalb von 18 Monaten.
Apropos Atomkraft: In den USA beginnen Firmen wie Amazon, aber auch Startups wie NE Edge, Nachbargrundstücke von Atomkraftwerken für ihre Serverfarmen aufzukaufen. Zudem gibt es Bestrebungen, nukleare Kleinreaktoren oder Mikronetze aus erneuerbaren Energien für den Betrieb von Rechenzentren zu nutzen. Inzwischen interessieren sich auch Immobilienbranche und Hedgefonds deutlich stärker für Rechenzentren.
Die EU wiederum nimmt die Rechenzentren ab Mai genauer unter die Lupe: So verpflichtet die aktualisierte Energieeffizienz-Richtlinie Rechenzentren mit einer Leistung ab 500 Kilowatt dazu, jährlich Energieverbrauch und Emissionen zu veröffentlichen.
Bislang galt: Zahl und Größe von Rechenzentren gingen in den vergangenen Jahren steil nach oben, das Kühl- und Server-Design wurde wiederum deutlich besser, hinzu kamen die Effekte von Koomey’s Law (eine sich ständig verbesserte Recheneffizienz). Kurz: Die Wachstumskurve des Energieverbrauchs verlief nicht parallel zum Ausbau, sondern fiel flacher aus.
Wie viel Strom Rechenzentren wirklich verbrauchen, ist allerdings schwer zu berechnen: Der Economist zitiert Schätzungen, wonach es im Jahr 2022 etwa 1-2 Prozent des weltweiten Stromverbrauchs waren. Am unteren Ende entspricht das dem Volumen von Australien als Land, aber oberen Ende wäre das der Strombedarf von Frankreich, immerhin der zehntgrößte Stromverbraucher der Welt.
In Kombination mit der Energiewende wird aus dem KI-Bedarf ein Mega-Thema:
Einerseits versuchen die großen westlichen Tech-Firmen, auch ihre Hyperscaler klimaneutral zu betreiben (natürlich nur möglich durch CO2-Zertifikathandel).
Andererseits kann der wachsende Bedarf an Energie für Rechenzentren dazu führen, dass Kohlekraftwerke weiter betrieben werden - ob in Virginia, USA, oder in Kuala Lumpur, Malaysia. Oder dass Regionen wie die Golfregion mit ihrem Zugang zu äußerst günstiger fossiler Energie für die KI-Entwicklung äußerst interessant werden. Denn Verfügbarkeit von Land und niedrige Energiepreise sind - neben Fragen der Datensicherheit - entscheidende Faktoren.
Weil Rechenzentren möglichst geringe Ausfallzeiten haben sollten, stellt sich auch die Grundlast-Frage - also welche Energie wird herangezogen, wenn Wind- und Sonnenenergie nicht verfügbar sind (Microsoft nutzt in Irland zum Beispiel ein großes Gaskraftwerk als Backup). Damit einher geht die Frage, wie die erneuerbare Energie am besten gespeichert werden kann.
Die Herausforderungen ähneln also denen der klassischen Industrie, machen aber eine Grundsatzfrage relevant: Halten die Stromnetze diesen Bedarf an Energie aus beziehungsweise können sie rechtzeitig modernisiert werden, um ihn zu decken? Denn nebenbei ist in vielen Industrieländern ja auch die Elektrifizierung von Industrieprozessen und des Automobilverkehrs im Gange.
Amerikas TikTok-Gesetz im historischen Kontext
Ich hatte bereits in Ausgabe #88 über das amerikanische TikTok-Gesetz geschrieben. Weil es an die Militär- und Unterstützungspakete für die Ukraine, Israel und Taiwan gehängt wurde, passierte das Gesetz mit nur kosmetischen Änderungen am Dienstag den US-Senat.
Ich will mich deshalb heute kurz auf den historischen Kontext beschränken. Denn das Gesetz ist als Teil einer Datenfluss- und Welthandels-Kehrtwende der Vereinigten Staaten zu sehen. Um (übersetzt und gefettet) aus einem Gutachten des Recherchedienstes des US-Kongresses zu zitieren:
“Bis 2023 förderten die Vereinigten Staaten den freien grenzüberschreitenden Datenfluss und lehnten Datenlokalisierungsanforderungen in ihren Freihandelsabkommen ab. Diese Politik wurde als Verhandlungsziel in Handelsabkommen aufgenommen, beginnend mit der Verabschiedung der letzten Trade Promotion Authority im Jahr 2015 (TPA-2015, P.L. 114-26). Im Herbst 2023, zog das Büro des Handelsbeauftragten der Vereinigten Staaten (USTR) seine Unterstützung für Vorschläge bei der Welthandelsorganisation (WTO) zurück, die offene und grenzüberschreitende Datenflüsse unterstützten und die Datenlokalisierung ablehnten.”
Diese Umkehr vollziehen nicht nur die USA, sondern die G7-Staaten insgesamt. Statt “freier Datenfluss” heißt es nun “freier Datenfluss unter Verbündeten [EU ergänzend: sofern sie ein adäquates Datenschutzniveau haben, Anm. joha]".
Nach den vergangenen Jahren mag das folgerichtig erscheinen, aber im historischen Kontext war “Datenlokalisierung” aus Perspektive des Westens in der Regel der Versuch von autoritären Regimen, ihr Internet abzuschotten und die Datenspuren der Bevölkerung zu überwachen.
Die nun von Washington vollzogene Wende ist deshalb historisch - und auch im Zusammenhang mit der Abkehr der USA vom Ideal des Freihandels zu betrachten, auf den Derek Robertson hinweist.
1997 veröffentlichte die US-Regierung unter Bill Clinton ein Dokument mit dem Titel "A Framework for Global Electronic Commerce". Dort heißt es (übersetzt):
“Die US-Regierung unterstützt den möglichst freien Informationsfluss über internationale Grenzen hinweg. (…) Die Regierung (…) wird einen informellen Dialog mit den wichtigsten Handelspartnern (…) entwickeln, um sicherzustellen, dass Unterschiede in der nationalen Regulierung (…) nicht als versteckte Handelsbarrieren dienen.”
Der Vergleich des TikTok-Gesetzes mit dem “Trading with the Enemy Act” von 1917 ist etwas übertrieben; dennoch zeigt sich eine Form von Interventionismus, der angesichts der amerikanischen Dominanz im Tech-Bereich folgenschwer sein dürfte: Denn der “21st Century Peace through Strength Act” (so heißt das Gesetz offiziell) legitimiert nationale Verbote von Social-Media- und sonstiger Kommunikationssoftware. Und zwar auch solche, die mit dem dehnbaren Konzept der “nationalen Sicherheit” begründet werden.
Dieses Signal ist in der Welt und dürfte von autoritär interessierten Regierungen dankbar aufgenommen werden - selbst wenn das zu erwartende Verbot vor Gericht keinen Bestand haben sollte.
Hierzu auch: China zwingt Apple dazu, WhatsApp, Signal und Telegram aus dem chinesischen App-Store zu nehmen. ($)
Musk gegen Moraes
Wenn Elon Musk gegen einen Richter am Obersten Gerichtshof schimpft und sich im Unrecht sieht, ergreift man vermutlich instinktiv für den Richter Partei. Allerdings ist die Rolle von Alexandre de Moraes eine besondere.
Die Geschichte geht so: Seitdem der Rechtsextremist Jair Bolsonaro 2019 ins Amt kam, hatten die verbalen Angriffe und Drohungen gegen die Obersten Richter und ihre Familien so zugenommen, dass das Oberste Gericht zu einem ungewöhnlichen - und problematischem - Mittel griff: Es gab sich das Recht, Drohungen und diffamierende Äußerungen gegen sich selbständig zu untersuchen. Man wurde damit, wie es der Economist ausdrückt, Opfer, Ermittler und Schiedsgericht zugleich.
Der Economist weiter (übersetzt und gefettet):
“Moraes nutzte diese Dreifachrolle wiederholt, um soziale Netzwerke anzuweisen, die Konten von Politikern und Influencern zu sperren, die laut ihm die Institutionen Brasiliens bedrohten. Im Februar 2021 ordnete er die Verhaftung des rechtsextremen Abgeordneten Daniel Silveira an, der eine beleidigende Tirade gegen die Mitglieder des Gerichts auf YouTube hochgeladen hatte. Solche Entscheidungen sind nahezu unanfechtbar.”
Und weiter:
“Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen 2022, die Bolsonaro verlor, verbreitete dieser Lügen über manipulierte Wahlmaschinen, die gegen ihn gerichtet seien. Moraes, der auch Präsident des Wahltribunals ist, weitete seine Kampagne aus. Im August 2022 autorisierte er die Polizei, die Häuser von acht Geschäftsleuten zu durchsuchen, ließ deren Bankkonten einfrieren und ordnete an, dass einige ihrer sozialen Netzwerkkonten gesperrt werden. Dies wurde durch die Veröffentlichung von WhatsApp-Nachrichten zweier Männer ausgelöst, die anscheinend eine Unterstützung für einen Staatsstreich zum Ausdruck brachten.”
Institutionell ist das Ganze also ziemlich problematisch. Was damit zu tun hat, dass es rund um Social-Media-Inhalte offenbar ein rechtliches Vakuum gibt: das brasilianische Pendant zum “Digital Service Act” steckt seit 2020 im brasilianischen Kongress fest.
Konkret dreht sich der Streit nun darum, dass Musk einige vom Gericht geblockte Konten reaktiviert hat. Nachdem es kurzzeitig nach Entspannung aussah, spitzt sich der Konflikt nun erneut zu.
Das einzig Positive an der Angelegenheit ist vielleicht, dass die Mehrheit im brasilianische Parlament in den nächsten 45 Tagen einen neuen Entwurf für ein Social-Media-Gesetz vorlegen möchte.
Airchat
Ich bin jetzt auch bei Airchat, einer Art Audio-Twitter (mit Transkription), das gerade leicht viral geht. Vor allem im Silicon Valley. Entsprechend sagt ein Screenshot mehr als 1000 Worte über den Vibe dort.
Bislang ist das reine Zeitverschwendung, weil es wirklich nur um die üblichen Bay-Area-Themen wie Crypto, Futurismus, Gründer-Kalendersprüche und Selbstoptimierung plus um Airchat-Features geht. (Wenn Ihr trotzdem eine Einladung wollt, bitte Telefonnummer per E-Mail schicken)
1 Grafik
Quelle: The Economist.
Links
LLMs: Wie lange können sie noch besser werden? (€)
KI-Werkzeuge im indischen Wahlkampf.
Wie interkulturelle Probleme den Bau des TSMC-Werks in Arizona erschweren.
Der Eindruck stimmt: Captchas werden komplizierter. ($)
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Apple kauft das französische KI-Startup Datakalab (für AI-on-device).
Microsoft investiert 1,5 Milliarden Dollar in das emiratische KI-Startup G42.
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Der New Yorker entdeckt Byung-Chul Han (und ist nicht überzeugt). ($)
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Gastbeitrag: Automatisierte Kriegsführung und die Genfer Konvention.
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Bis zur nächsten Ausgabe!
Johannes