Aus dem Internet-Observatorium #56
Im Zwischenreich / Bundeshaushalt und Digitalisierung
Hallo zu einer neuen Ausgabe! An dieser Stelle ein Hinweis und ein “Gewinnspiel”:
Im “Kuhnletter” - meinem anderen Newsletter - schreibe ich über Politik, Zeitgeschehen und Persönliches. Vor wenigen Tagen ist eine neue Ausgabe erschienen, wer reinlesen und/oder abonnieren möchte.
Bluesky ist angesichts der fortgesetzt Twitter-Abwärtsspirale sicherlich keine schlechte Alternative. Ich selbst bin dort auch zu finden, habe aber auch drei Invites übrig. Wer Interesse hat: Bitte bis zum Donnerstag, 6. Juli 18 Uhr einfach auf diese E-Mail antworten. Ich verlose dann die drei Codes unter allen Teilnehmenden.
Im Zwischenreich
“Ich habe den Eindruck, dass meine Generation den Gipfelpunkt des Internets erlebt hat und wir uns jetzt auf dem Weg nach unten befinden.
Die Google-Suche ist mies. Du kannst Amazon-Bewertungen nicht trauen. Twitter und Reddit befinden sich im Krieg mit ihren Nutzern. Und jede nützliche Nachrichtenseite ist hinter einer Paywall versteckt, während die Müllseiten kostenlos sind.
Es stellt sich heraus, dass die 2010er Jahre die guten alten Zeiten waren.”
Der Bluesky-”Skeet” von Dare Obasanjo scheint irgendetwas auf den Punkt zu bringen. Aber was genau? Denn dass das “Internet” seinen Zenit überschritten hat, würde ich bestreiten - wir stehen erst am Anfang.
Oder am Ende vom Anfang, wie ich es in Ausgabe #31 formuliert habe. Ich verzichte darauf, Gramscis Diktum vom “Alten, das stirbt und dem Neuen, das noch zu schwach ist, um geboren zu werden” hier auszubreiten. Denn dass das “Alte” in der Digitalökonomie stirbt, sehe ich angesichts der ungleichen Verteilung von Marktmacht, Geld und Entwicklungskapazitäten derzeit nicht.
Ich würde aber unterschreiben, dass wir uns in einer Zwischenphase oder einem Zwischenreich befinden. Zu dessen Merkmalen gehört offensichtlich Dysfunktionalität: Alle oben genannten Beispiele haben gemeinsam, dass sie mit Informationsverschmutzung zusammenhängen.
Die Sortiermechanismen des Web 1.0 und Web 2.0 funktionieren offensichtlich nicht mehr so richtig. Ein möglicher Grund: die Datenbank-Mechaniken - also welcher Content unter welchen Bedingungen eine breitere Öffentlichkeit erreicht - sind entschlüsselt und werden ausgenutzt. Bei Reddit und Twitter wiederum ist es den jeweiligen CEOs “gelungen”, den Nutzern ihre Rolle als kostenlose Arbeitskräfte in den Content-Mühlen deutlich zu machen - wodurch dort nun vermutlich weniger interessanter Content produziert wird. Das Signal wird schwächer, das Rauschen nimmt zu.
Das beginnende KI-Paradigma ist dort bislang nur bedingt eine Hilfe: Mustererkennung kann zwar theoretisch Ordnung oder Hierarchie im Informationschaos schaffen - aber eben nur als “verschwommenes JPEG des Webs”, wie Ted Chiang es formuliert. Zumal solche Software bisweilen mit inhaltslosem www-Automatentext und erfundenen Informationen selbst zur Verschmutzung beiträgt.
Es lässt sich schwer prognostizieren, wie lange diese Zwischenphase andauern wird. Mir persönlich wird sie bewusst, wenn ich instinktiv mein Smartphone zücke - und dann bemerke, dass ich weder im Web, noch auf den Social-Media-Apps irgendeine Anlaufstelle habe, für die ich Vorfreude oder größeres Interesse aufbringe.
Das ist natürlich sehr individuell und nicht übertragbar. Aber vielleicht verbirgt sich darin doch eine Form von Zeitgeist, die darauf hinweist, dass es sich um mehr als eine reine Zwischenphase handelt: Content ist Content ist Content und es ist uns weitestgehend egal geworden, wie wir unsere Mikro-Momente (hallo, 2016!) verbringen.
Dann hätte nicht das “Internet” den Zenit überschritten, sondern vielmehr unsere Vorstellung davon, dass das Internet ein dezidierter Kulturraum sein kann. Und nicht nur ein Freizeit-, Shopping und Entertainmentcenter, in dem wir uns täglich neu verlaufen.
Bundeshaushalt und Digitalisierung
Wenn der Entwurf des Bundeshaushalts 2024 irgendwelche Signale in Sachen digitalpolitischer Schwerpunktsetzung senden soll, dann kann ich sie beim Querlesen bislang nicht empfangen (eine ausführliche Analyse findet sich beim TSP Background, €)
Vorab: Ich hänge mich dabei nicht daran auf, dass es wieder kein Digitalbudget gibt. Ich finde, die ganze Diskussion darüber ist vor allem symbolischer Natur. Und wenn die Games-Branche seit Förderungsbeginn 2019 trotz 150 Millionen Euro Subventionen letztlich gleichbleibende Mitarbeiterzahlen aufweist, scheint es mir auch hier gute Argumente für Kürzungen zu geben.
Insgesamt aber ist mir das zu viel Rasenmäher-Methode, mit der man letztlich vom “Zentrum für Digitale Souveränität” über das BSI bis zur KI- und Quantencomputingförderung über alle Bereiche hinweg geht. Denn die widerspricht eigentlich allem, was man über den Investitionsbedarf in der Digitalisierungspolitik zuvor erzählt hatte. Klar, es gibt einen Fokus auf einige Projekte (SPRIND, Sovereign Tech Fund), aber insgesamt scheint man gerade bei wichtigen föderalen Vorhaben wie die Verwaltungsdigitalisierung oder Digitalisierung des Schulwesens absichtlich niedrig kalkuliert zu haben, um die Länder stärker in die Pflicht zu nehmen. Was in der Regel zu Nachverhandlungen oder Stillstand aufgrund fehlender Planungssicherheit führt.
Symbolisch passt dazu, dass man das Sondervermögen Digitale Infrastruktur auflösen möchte, um damit den Haushalt insgesamt zu stabilisieren. Ganz der (viel zu hoffnungsvollen) Annahme folgend, dass bis zu 90 Prozent des Glasfaserausbaus privatwirtschaftlich organisiert werden können.
Nun hat Christian Lindner den Haushalt 2024 ja quasi als Übergangshaushalt markiert, dem 2025 ein wirklicher Schwerpunkthaushalt folgen soll. Leider habe ich im Moment nicht den Eindruck, dass Digitalisierungspolitik hier wirklich als Schwerpunkt erkannt worden ist.
Vom Einsatz neuer Werkzeuge
“New technology generally makes it cheaper and easier to do something, but that might mean you do the same with fewer people, or you might do much more with the same people. It also tends to mean that you change what you do. To begin with, we make the new tool fit the old way of working, but over time, we change how we work to fit the tool.”
Benedict Evans - AI and the automation of work
Links
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Bis zur nächsten Ausgabe!
Johannes