Aus dem Internet-Observatorium #54
Intel-Chips aus Magdeburg: Viele negative Vorzeichen / Europäische Cloudsicherheit: Frankreichs protektionistischer Einfluss
Hallo am längsten Tag des Jahres. Ich bin immer noch erstaunt, wie schnell 2023 voranschreitet…
Intel in Magdeburg: Viele negative Vorzeichen
Okay, bei Intels Chipfabrik geht es nicht direkt um Internet-Angelegenheiten, aber letztlich dann doch um die Frage, wo die Infrastruktur für die Digitalisierung herkommt.
Teilweise aus Europa und aus Deutschland, lautet die Antwort in Folge der Corona-Lieferketten- und Russland-Energieschocks. Der Deal, der diese Woche für das Chip-Werk in Magdeburg finalisiert wurde (wer es nicht mitbekommen hat): Intel erhöht die Investitionssumme für seine geplante Fabrik in Magdeburg von 17,4 auf mehr als 30 Milliarden Euro.
Die Bundesregierung wiederum erhöht ihren Anteil daran von 6,7 Milliarden Euro auf rund zehn Milliarden Euro. Prozentual also sinkt der Subventionsanteil auf ein Drittel, pro Arbeitsplatz aber kostet das Werk den Steuerzahler inzwischen eine Million Euro. Und dass Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck die zusätzlichen drei Milliarden aus dem Klimafonds zweckentfremdet, wäre nochmal eine eigene Betrachtung über die Arbeitsweise der Ampel wert.
Auch noch nicht wirklich geklärt ist, wie die zäh ausverhandelten Subventionssteigerungen mit den kurz davor verkündeten Plänen für eine Intel-Fabrik in Polen zusammenhängen, wo der nächste Arbeitsschritt (Test und Verbau der Chips in Prozessoren) stattfinden soll.
von Semicon Alpha ($) schreibt:“The Poland investment came out of the blue. Could it have been used as a bargaining chip on Intel’s part to speed things along with the Magdeburg negotiations? Perhaps initially floated as an alternative to investing in Magdeburg and then downgraded from a semiconductor fab to an AT facility in response to increased subsidy levels from the German authorities? The timing here just seems awfully coincidental…”
Aber nun zur Kernfrage: Sind diese Subventionen gut angelegtes Geld? Eindeutig lässt sich das nicht beantworten, denn noch ist überhaupt nicht klar, was in welcher Menge hergestellt wird. Die Überschrift mit den negativen Vorzeichen signalisiert allerdings bereits, dass ich sehr skeptisch bin.
Klar ist, dass es um Auftragsfertigung für Highend-Chips im “Cutting-Edge”-Bereich gehen soll, also sehr niedrige Nanometergrößen zwischen künftig 1,8 und 5nm, wie sie bislang vor allem TSMC fertigt bzw. plant. Allerdings gibt es insgesamt Zweifel daran, ob Intel in der Prozessknotentechnologie (die in diesem Fall nicht nur Design, sondern auch Produktion erfasst) kleinere Größen überhaupt kann, zum Beispiel beim Intel 4 (7nm). Auch hier sei auf Semicon Alpha ($) verwiesen:
“We believe that Intel’s process technology issues at 10nm (now 7nm) have never been satisfactorily resolved. Why otherwise would increasing the mix on this node be a drag on operating income almost three and a half years after its official launch. [CEO]Mr Gelsinger has committed the company to delivering 5 process nodes in four years, details here. That he may very well do, but if they are anything like as disappointing as 10/7nm appears to have been, what’s the point ?”
Intel steht unter Druck, ist insgesamt abgehängt - das lässt sich so pauschal in dieser Härte sagen. Aber man ergreift die Gelegenheit, eine Modernisierung des Portfolios mit einer globalen Suche nach Subventionen zu verbinden. Immerhin hier beweist die Firma hier gutes Timing - und kommt in Deutschland sogar mit einer Verdopplung der Kosten bereits in der Planungsphase durch, weil der Bundeskanzler das Projekt für sehr relevant und prestigeträchtig hält.
Allerdings sind mit einer Fabrik noch keine Kunden gewonnen. Die es übrigens, Stand jetzt, in der europäischen Industrielandschaft auch nicht besonders reichlich gibt. Intels Strategie ist, als vertikal integriertes Unternehmen die eigenen Chips in seinen Prozessoren zu pilotieren und dadurch Großkunden davon zu überzeugen, ebenfalls Intel-Chips einzukaufen. Ob das gelingt, hängt von niedrigen Fertigungskosten (großes Fragezeichen hier), aber auch der generellen Nachfrageentwicklung bei High-End-Chips (KI-Controller, Server, autonomes Fahren, Robotik, Consumer Electronics) ab - und davon, ob die Konkurrenten TSMC und Samsung die vorhandene Nachfrage bedienen könnten und dadurch eine Lücke für Intel entsteht.
Kurz: Wirtschaftlich geht Intel voll ins Risiko, und Deutschland hängt da jetzt mit drin.
Aber, machen wir uns nichts vor, es geht am Ende um Geopolitik: Letztlich will sich der Westen gegen eine chinesische Invasion in Taiwan absichern, bei denen die TSMC-Fabs zerstört werden oder zumindest Lieferketten reißen könnten. Passenderweise hat auch TSMC mit einem Fab in Arizona begonnen, die Produktion stärker zu diversifizieren - und man verhandelt über ein ähnliches Projekt wie Intel in Dresden). Ich glaube, das wäre das erfolgsversprechendere Projekt gewesen.
Und dann ist dieses Grundsatzproblem von “digitaler Souveränität” oder auch “De-Risking”: Für die Chipherstellung sind seltene Erde, 400 unterschiedliche Typen von Chemikalien und Hunderte anderer Vorprodukte nötig. Dort, und auch bei Resistoren, Dioden, Induktoren, (Super-)Kondensatoren geht es einfach nicht ohne China (und teilweise Taiwan).
Was also ist das industriepolitische “De-Risking”-Endgame in einem Produktionsprozess mit Hunderten von Flaschenhälsen? Mein Eindruck ist, dass das weder Deutschland, noch die EU wirklich wissen.
Europas Cloudsicherheit: Frankreichs protektionistischer Einfluss
Und noch ein bisschen Industriepolitik. Angefangen mit einer Frage: Wem sagt das Kürzel EUCS etwas? Okay, immerhin ein paar Lesenden hier.
EUCS steht für “European Cybersecurity Certification Scheme for Cloud Services”. Übersetzt: Die Cybersicherheitszertifizierung für Cloud-Anbieter, die auf europäischem Boden agieren wollen.
Derzeit wird über EUCS verhandelt, und es sieht viel danach aus, dass sich die EU bei sensiblen Cloud-Bereichen wie Regierungsdaten am Vorbild Frankreich orientieren möchte. Wobei “sensibel” durch diverse Regularien wie NIS2 durchaus breiter ausgelegt werden könnte. In Frankreich fallen zum Beispiel 600 Firmen unter das als Vorbild geltende Rahmenwerk “SecNumCloud”.
Doch das Problem ist der Geist der französischen Regulierung, die in ihrer protektionistischen Ausrichtung fast chinesisch erscheint. So begann Nigel Cory im März seine Analyse mit den Worten:
“Like China, some European Union (EU) countries want to misuse cloud cybersecurity rules to replace leading U.S. cloud firms such as AWS, Google, and Microsoft with local ones—in other words, enacting digital protectionism.”
Cloud-Anbieter müssten die Daten nicht nur in der EU speichern (was erst einmal sinnvoll ist), sondern de facto ein Joint Venture mit einer europäischen Firma eingehen. Mit einer Minderheitsbeteiligung, wohlgemerkt. The Register aus dem März diesen Jahres:
“According to a draft of the new rules seen by Reuters, US cloud giants like Amazon, Microsoft and Google — or any other non-EU provider — can only have a minority stake in the joint venture. Additionally, any employees with access to EU data would be required to reside in one of the 27 member countries, and undergo specific screening to handle EU data.
The majority company in the cloudy JV must be operated and maintained from the EU, all customer data must be stored and processed in the EU, and, unsurprisingly, EU laws take precedence over other countries' regulations, according to the draft proposal.”
Das ist erst einmal konsequent, solange es keine einheitlichen Datenstandards gibt. Aber gerade die Joint-Venture-Regel entspricht eben genau der Herangehensweise, wie sie China bei ausländischen Firmen pflegt. Und das Ganze widerspricht gleich zwei Entwicklungen: Den transatlantischen Verhandlungen über ein neues Datenabkommen und die Idee eines “Free Flow of Data” unter demokratischen Nationen, wie sie auf Ebene der G-7 verhandelt wird.
Vor allem aber scheint Frankreich damit über die Brüsseler Bande Industriepolitik zu machen. Denn französische wie OVHcloud Unternehmen hätten gegenüber anderen EU-Firmen deutliche Vorteile bei staatlichen und sonstigen hochwertigen Cloud-Ausschreibungen, haben sie doch die hohen technischen Anforderungen bereits implementiert. Auch für die Joint Ventures mit den amerikanischen Hyperscalern wären sie prädestiniert.
Das Ganze schadet aber nicht nur Amazon, Microsoft und Co. Sondern wahrscheinlich auch der Telekom und vor allem kleineren Cloud-Anbieter aus kleineren EU-Staaten.
Technologie und ihr Effekt auf Wirtschaftskennzahlen
, Newsletter vom 17. Juni 2023.“Technology ist ein Input für die gesamte Realität, nicht nur für die Wirtschaftsmaschine. Der größte Anteil der verwobenen Dynamiken von Technologie und Geschichte ist ökonomisch gesehen “dunkle Materie”. Zu dem Zeitpunkt, an dem Wirtschaftsmechanismen einsetzen, um einen Teil der Folgen einer Technologie auszunutzen und sie in messbare Prozentpunkte der wirtschaftlichen Indikatoren verwandeln, sind die historisch betrachtet folgenreichsten Veränderungen bereits geschehen. Ich glaube, dass auch nach der “Ökonomifizierung” einer Technologie die größten Auswirkungen weiterhin außerhalb der wirtschaftlichen Logik stattfinden.”
Links
Bruce Schneier über zehn Jahre Snowden.
AI Seinfeld und das (amerikanische) Urheberrecht.
Das langsame Ende von Metas Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft.
UN-Generalsekretär befürwortet KI-Behörde, die ähnlich wie die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) fungieren würde. (siehe auch Ausgabe #51)
Bis zur nächsten Ausgabe!
Johannes