Aus dem Internet-Observatorium #49
OpenAI vor dem US-Kongress / Twitter und Musk: Downward Spiral / Influencer-Assistenzsystem / Finale in der Causa Schönbohm
Hallo zu einer neuen Ausgabe! Programmhinweis: Am Freitag 18:40 Uhr läuft im Deutschlandfunk mein Hintergrund zur internationalen Debatte rund um TikTok und seine China-Nähe. Später zum Nachhören auf der Hintergrund-Seite.
OpenAI vor dem US-Kongress
OpenAI-Chef Sam Altman musste gestern erstmals vor einem Ausschuss des US-Kongresses Rede und Antwort stehen. Die Washington Post schreibt von “einer Meisterklasse, wie man Abgeordnete umwirbt”.
“The 38-year-old CEO was articulate and clear. He didn’t use any of the techno jargon that others have used in the past and he agreed with all the pressing concerns lawmakers had, ultimately diffusing their bluster. At one point, he declined an offer to become America’s top AI regulator. “I love my current job,” he said.”
Zum positiven Eindruck unter den Senatorinnen und Senatoren dürfte Altmans Forderung nach einer nationalen Behörde zur KI-Regulierung beigetragen haben, die er mit der Forderung nach einer Institution auf globaler Ebene damit verband.
Allerdings wird in der US-Techbranche Altmans Regulierungsbereitschaft durchaus kritisch hinterfragt. Denn Regulierung könnte zu diesem Zeitpunkt vor allem dazu führen, dass die Entwicklung neuer Projekte gebremst wird. Und damit der Vorsprung bislang führender Akteure wie OpenAI oder Google zementiert wird.
Parmy Olson von Bloomberg wundert sich zudem, warum der europäische “AI Act” keine nähere Erwähnung fand:
“Such hubris helps explain why the US ultimately lags behind on tech regulation. When lawmakers ignore groundwork laid elsewhere, preferring instead to grandstand about pioneering new policies in alliance with powerful technologists like Altman, they succeed in generating plenty of hype about their coming alleged accomplishments. But they risk achieving nothing. “
Politico hat Anfang Mai aufgeschrieben, wie unterschiedlich die verschiedenen politischen Lager das Thema bewerten. So gibt es eine ganze Reihe Initiativen, von denen allerdings keine einen klaren Weg ins Gesetzbuch vor sich hat. Auf dem Tisch liegen folgende Ideen von sehr verschiedenen Akteuren:
Eine Kommission, die nationale KI-Regeln aufstellen soll.
Eine Taskforce, die den Umgang der Regierung mit KI überprüfen und ebenfalls Regeln erlassen soll.
Ein vager Plan für eine KI-Rahmenverordnung, die Leitlinien für die Regulierung vorgibt.
Eine KI-Transparenzgesetzgebung.
Ein Gesetz, dass verhindern soll, dass eine KI Kontrolle über die amerikanischen Atomwaffen übernehmen kann.
Überlegungen, KI-Regeln in die (derzeit auf Eis gelegte) Datenschutzgesetzgebung zu integrieren.
“Nichts erreichen”, wie Olson oben schreibt: So enden im US-Kongress bekanntlich die meisten Gesetzesintiativen auf Bundesebene. Auch im Bereich der Digitalisierungspolitik. Entsprechend skeptisch ist die Resonanz, die Altmans Auftritt und die Regulierungsandeutungen der Senatoren heute medial erfahren.
Twitter und Musk: Downward Spiral
Ich muss ja - der Herr sei gepriesen - nicht ständig über Twitter berichten (das SocialMediaWatchblog übernimmt diesen dreckigen Job). Diese Woche bietet jedoch eine angemessene Gelegenheit, denn es ging zuletzt selbst für Musk’sche Verhältnisse steil bergab. Inhaltlich zumindest, in alles andere habe ich keine Einblicke.
Irgendeine interne Änderung führte dazu, dass Content-Filter abgeschaltet wurden. Fieseste Autocompletes in der Suche (“Hamster in a Microwave”) waren dabei das geringste Problem. Nutzer sahen Fotos der Ermordeten von Allen, Texas. Oder Tierquäler-Videos wie das einer Katze, die in einen Mixer gesteckt wird.
hat ausführlich beschrieben, wie speziell das Katzenvideo so viral ging, dass sogar Kinder auf dem Schulhof darüber sprachen. Es ist immer leicht, das Ganze mit “guck mal, was der Typ für eine Scheisse baut”, abzutun. Aber das alles ist nicht nur völlig gegen alle Standards und europäischen Mediengesetze, sondern wirklich traumatisierend.Am Wochenende wurde dann bekannt, dass Twitter offenbar auf Wunsch der türkischen Regierung vor den Wahlen den Zugang zu einem halben Dutzend regierungskritischer Accounts eingeschränkt hatte. Solche Regierungsforderungen sind nicht selten, aber Musk ist derart auf die USA fixiert, dass er sie in für ihn weniger interessanten Ländern (z.B. auch Indien) ohne Widerwillen oder gerichtliche Einsprüche zu befolgen scheint. Sein Gerede von Twitter als Bastion der freien Meinungsäußerung passt dazu freilich nicht. Beziehungsweise passt bislang nur auf die Kulturkämpfer der amerikanischen Ultrarechten, deren Accounts er wieder freigegeben hat.
In den vergangenen Wochen wurde auch nochmal deutlich, was Musk ist: Völlig Red-Pilled und Teil des rechtsradikalen amerikanischen Online-Aktivismus. Ich bin mit solchen Urteilen zurückhaltend, weil solche Vorwürfe aus progressiven Kreisen oft reflexhaft kommen. Aber seine ständigen indirekten Hinweise darauf, wie kriminell Schwarze sind und wie sehr Weiße angeblich in der Berichterstattung über Hate Crimes benachteiligt werden, lassen tief blicken. Und was soll man dazu sagen?
Um Yair Rosenberg vom Atlantic zu zitieren:
“This is the language of anti-Semitism through the ages, which perpetually casts powerful Jewish actors as the embodiment of social and political ill. Rather than treat Jews like humans, who are fallible and often mistaken, this mindset refashions them into sinister superhumans who intentionally impose their malign designs on the masses.”
Neue Twitter-Chefin hin oder her: Musk fährt mit Twitter auf dem Ticket des Troll-Flügels der America-First-Bewegung. Und zwar höchstpersönlich als Verschwörungstheoretiker, Antisemit und Kulturkämpfer. Das sollte allen bewusst sein, die dieser Plattform noch Klicks, Logins oder auch nur Aufmerksamkeit schenken.
Zum Influencer-Assistenzsystem?
Die 23-jährige Snapchat-Influencerin Caryn Marjorie findet nicht genug Zeit für die Fans, die sie auf Telegram kontaktieren möchten. Und lässt deshalb einen digitalen (und natürlich körperlosen) Klon von sich erstellen. Taylor Lorenz:
“This week she launched CarynAI, an AI chatbot leveraging GPT-4 API technology developed by OpenAI that replicates her voice, mannerisms and personality. For $1 a minute, fans can chat with CarynAI in an “immersive AI experience” that feels almost like speaking to Marjorie herself.”"
Das alles scheint mir eine geschickt platzierte PR-Geschichte von Forever Voices - dem Startup, das bereits Chatbots mit Audio-DeepFakes von Prominenten wie Steve Jobs gebaut hat. Dass “CarynAI” gaaanz versehentlich die Gespräche in eine sexuelle Richtung lenkt ist natüüüürlich ein Bug. Passt aber perfekt in ein Geschäftsmodell, das an die einstigen 0190er-Nummern erinnert.
Und doch markiert das einen möglichen Entwicklungspfad: Influencer, OnlyFans-Performer oder Semi-Prominente, die mittels Digitalklon lukrativ Nähe vermitteln - und damit dem Standom-Zeitgeist Zucker geben.
Eine mögliche Grenze markiert allerdings eine Art spiegelverkehrtes kommunikatives Uncanny Valley: Der Moment, in dem uns bewusst wird, dass wir es nicht mit einer “Persönlichkeit”, sondern mit einem Softwaresystem zu tun haben. Insofern klingt es logisch, dass ein solcher KI-Klon etwas anderes als reine Nähe bieten muss. Sex-Talk zum Beispiel. Oder Lebensberatung.
In den USA kann man seinem Waze-Navigationssystem schon seit 2016 die Stimme ausgewählter Prominenter wie Shaquille O'Neal geben. Ein Gimmick, sicher. Das sich aber weiterdenken lässt: Wenn mir Shaq den Weg sagt, wieso soll er mich nicht auch auf meinem Lebensweg lotsen?
(Und damit genug spekuliert für heute).
Die Causa Schönbohm - das Finale
Im Oktober 2022 schrieb ich zu den damaligen vagen Vorwürfen gegen den damaligen BSI-Chef Arne Schönbohm:
“Für deutlich wahrscheinlicher halte ich: Das BMI hat nichts in der Hand. Gar nichts. Faeser hat gezuckt und jetzt hat man ein Problem.”
So war es auch.
Schönbohm hat inzwischen eine andere Leitungsstelle und darf sich jetzt zumindest formal rehabilitiert fühlen: Seine Anwälte haben ein Schreiben erreicht, in dem das BMI zugeben muss, dass es keinerlei Anhalte für ein Disziplinarverfahren gab und gibt.
Das alles ist ziemlich beschämend. Die medienfixierte Überreaktion Faesers auf die Böhmermann-Sendung. Faesers offensichtliche Naivität darüber, dass sie intern instrumentalisiert wird. Der politische Prozess des Rauswurfs. Das Herausreden in den Regierungspressekonferenzen. Die Bemühungen, irgendwelche Gründe zu finden. Der Versuch, über Bande irgendwas zum Hängenbleiben zu bringen. Der Versuch, die ganze misslungene politische Operation unter den Teppich zu kehren.
Ganz ehrlich: Als Beobachter des politischen Betriebs hier in Berlin löst die ganze Causa Schönbohm bei mir nur noch Zynismus aus. Und Verwunderung, auf welchem Amateurniveau in den höchsten politischen Behörden des Landes agiert wird.
Kurze Notizen
Claude - ein KI-System ehemaliger OpenAI-Mitarbeiter - ist derzeit noch im Schatten von GPT-4 unterwegs. Aber an verschiedenen Stellen deutet sich an, dass man den Rivalen in Sachen Leistungskraft bald überholen könnte.
Nach der WWDC Anfang Juni wird medial viel von der Rivalität zwischen Apple und Meta die Rede sein: Schließlich werden die beiden Konzerne dann Konkurrenten auf dem Markt der Augmented-Reality-Headsets sein. Ben Thompson hält die beiden Firmen aber für komplementär: Denn wenn Apple die Hardware und Facebook die sozialen AR-Apps anbieten würde, könnte das passen wie einst bei iPhone und Facebook-App. Das gesamte Argument ist etwas komplexer (u.a. rund um ein Szenario, dass Apple es ausnutzen könnte, wenn Meta seine KI-Systeme komplett Open Source entwickeln würde) und findet sich hier.
Links
Der Haushaltsausschuss hat 30 Millionen Euro (bis 2025) für das Dateninstitut freigegeben.
Der Stand beim “AI Act” - ein Überblick. (€)
Google Bard kommt vorerst nicht nach Deutschland (wegen des “AI Acts”?).
Joe Biden hat keine digitale Wahlkampfstrategie, sagt Bob Lefsetz.
über aktuelle Plattform-Veränderungen.SAP beteiligt sich (offenbar massiv?) an der nächsten Finanzierungsrunde von Aleph Alpha.
Überwachung: Nun hat auch Audio-CSAM eine Mehrheit in den EU-Ländern.
Bis nächste Woche zu Ausgabe #50!
Johannes