Willkommen zu einer neuen Ausgabe! Verzeiht, dass es diese Woche keine Links gibt, ich habe noch eine längliche Leseliste abzuarbeiten… ein Best-of gibt es dann in der nächsten Woche hier.
Thema der Woche: Quo vadis, Google?
Eine… interessante Woche für Alphabet/Google.
Google kündigte an, 12.000 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen zu kündigen. Das entspricht sechs Prozent der Belegschaft.
Die New York Times berichtete, dass die Gründer Larry Page und Sergey Brin wieder eine aktivere Beraterrolle einnehmen, um eine Disruption durch Software wie ChatGPT zu verhindern - und eigene, offenbar dialogbasierte KI-Funktionen für die Google-Produkte zu entwickeln. “Code Red” heißt die Alarmstufe, die Alphabet deshalb ausgerufen hat.
Und schließlich eröffnete das US-Justizministerium am Dienstag gemeinsam mit acht US-Bundesstaaten eine Kartellklage gegen Google. Konkret geht es um Display- und Video-Werbung auf Drittanbieterseiten. Der Vorwurf einer marktbeherrschenden Stellung dort ist mit der Forderung nach Rückabwicklung/Entflechtung von Adtech-Zukäufen verbunden, unter anderem DoubleClick.
Gehen wir die drei Ereignisse einzeln durch.
Der Stellenabbau
Um die Zahl 12.000 in Verhältnis zu setzen - Ende September hatte Alphabet etwa 187.000 Mitarbeiter. Das ist ein Zuwachs von mehr als 100.000 innerhalb von fünf Jahren (vor allem im Cloud-Bereich, der ohnehin der personalintensivste ist). Und auch nach den Entlassungen wird man etwa 50.000 Mitarbeiter mehr als 2020 haben. Mit einem Gewinn von zuletzt 16 Milliarden Dollar pro Quartal steht man gleichzeitig - trotz eines möglichen Paradigmenwechsels in der Suche - ausgezeichnet da. Von der Ratio Erlös pro Mitarbeiter können Nich-Techkonzerne nur träumen.
Dennoch gab es Druck der Investoren, dem man nun nachgegeben hat. Immerhin spart man damit ungefähr sechs Milliarden US-Dollar ein - angesichts einer konjunkturbedingten Delle im Anzeigengeschäft kein kleiner Betrag. Ein weiterer Punkt: Die Massenentlassungen bei den großen Techfirmen haben eine deflationäre Wirkung auf das allgemeine Lohnniveau im Sektor und Neueinstellungen im Besonderen. Gut möglich, dass Alphabet in anderthalb Jahren wieder bei einer ähnlichen Mitarbeiterzahl ist, aber die Lohnkosten geringer als heute sind.
Das heißt nicht, dass alles in Ordnung ist: Die Suche, das Kernprodukt, stagniert beziehungsweise wird (zugegeben anekdotisch argumentiert) qualitativ schlechter. Die Bedrohung des Geschäftsmodells muss nicht unbedingt in ChatGPT als Such-Ersatz liegen; sondern darin, dass die Suchergebnisse durch generischen Content aus KI-Produktion noch mehr“Noise” enthalten. Und dass eine Alternative nur noch “gut genug” sein muss, um relevante Marktanteile zu übernehmen. Diese Alternative muss keine Textsuche sein, siehe der Erfolg der TikTok-Suche im Mobilbereich.
Und Alphabet/Google hat die bekannten Organisationsprobleme, die alle Tech-Firmen - genauer gesagt alle größeren Firmen jeglicher Branchen - plagen: Ein Management-Mittelbau, in dem Führungspositionen oft an diejenigen gehen, die am strategischsten in der Büropolitik vorgehen. Eine Hierarchie-Abstufung, in der vom Menschen, der über ein Projekt redet bis zu den Menschen, die das Projekt mit Code und Design umsetzen, gefühlt ein halbes Dutzend Hierarchiestufen liegen (wie neulich jemand bei Hackernews schrieb). Und auch die Produktwelt ist derart unübersichtlich, dass eine Koordination zwischen den verschiedenen Abteilungen kaum leistbar erscheint.
Google ist - ich hatte das vor ein paar Monaten selbst geschrieben - der Maßstab für viele Entwicklungen im Sektor. Insofern ist der Stellenabbau womöglich nicht nur Zeichen für einen anstehenden Wirtschaftsabschwung, sondern einem abgeflachten Wachstum auf hohem Niveau, die gerade bei den FANG-Unternehmen einsetzt.
“Code Red” und die ChatGPT-Bedrohung
Auch hier spielen die organisatorischen Probleme eine Rolle, die ich oben genannt habe. Denn wo und wie die Dialog-KI LaMDA und ähnliche Systeme im Google-Universum zum Einsatz kommen, hängt am Ende an vielen unterschiedlichen Abteilungen.
Reden wir von der klassischen Suche? Von einer Erweiterung des Google Assistant? Von einer Zusammenfassungs-KI in Chrome? Irgendeiner Mini-Funktion bei Youtube oder Maps? Foto-Bearbeitung per Sprachbefehl in Android? Alles von dem oder etwas ganz anderes?
Kurz: Google hat derart viele Produkte und Produktlinien, dass wir keine Kohärenz erwarten dürfen. Wenn es nur um Experimente oder Nebenprodukte wie Musikstreaming geht, ist das kein Problem. Wenn man seine Produktlinie grundsätzlich modernisiert und nach einer Gesamtausrichtung sucht, entstehen aus solchen Strukturen Hindernisse. Vor allem, wenn man unter Zeitdruck steht. Vielleicht werden wir schon in einem Jahr wissen, ob Sundar Pichai ein guter oder mittelmäßiger CEO ist. Denn das kann ich tatsächlich nicht so recht bewerten.
Die Klage in den USA
Die Klage des US-Justizministeriums wäre einen eigenen längeren Artikel wert. Ich beschränke mich aber auf das Nötigste und verweise auf diese Analysen von Ben Thompson und Casey Newton.
US-Justizminister Merrick Garland hat den Vorwurf so zusammengefasst:
“First, Google controls the technology used by nearly every major website publisher to offer advertising space for sale. Second, Google controls the leading tool used by advertisers to buy that advertising space. And third, Google controls the largest ad exchange that matches publishers and advertisers together each time that ad space is sold.”
Das heißt: Google hat eine marktbeherrschende Stellung, weil man auf dem AdExchange-Markt den kompletten Baukasten (Inventar, Software zum Ausspielen, Matching von Werbekunden und Webseiten) in der Hand hat. Was zur Folge hat, dass Werbekunden mehr zahlen als es bei einem funktionierenden Markt ohne Vollintegration innerhalb eines Unternehmens wäre. Auf der anderen Seite haben dieser Argumentation zufolge auch die Webseiten weniger Einnahmen (weil sie 30 Prozent Kommission an Google abgeben). Deshalb die Forderung, die AdManager-Produktsparte zu verkaufen.
Casey Newton beschreibt, wie die US-Regierung argumentiert, selbst Opfer dieser Anzeigen-Marktdominanz geworden zu sein:
“The government says that the fees on Google’s ad exchanges allow it to keep 30 cents out of every dollar spent on them — a significant tax on struggling digital publishers. As a result, the government says, it was overcharged for $100 million in spending on online ads for federal agencies, including the Army.”
Anders als bei der abgewiesenen Klage gegen Meta 2021 steht die US-Regierung hier zumindest auf einem Fundament, das keine Neu-Interpretation von Marktmechanismen benötigt. Wer alle Seiten eines Marktes dominiert, schränkt die Auswahl von Marktteilnehmern ein. Oder auch: Lässt dem freien Markt keinen freien Lauf.
Googles Gegenargument, dass es trotz aller Marktmacht im Third-Party-Bereich Konkurrenz gibt, ist allerdings nicht von der Hand zu weisen. Es liegt am US-Justizministerium, die Alternativlosigkeit in Sachen Targeting und Buchungen auf Drittseiten de facto nachzuweisen.
Im Zusammenhang mit der aktuellen Klage wird gerne auf den Microsoft-Fall in den 1990ern erinnert. Damals hatte eine erste Instanz die Aufspaltung angeordnet, die im Berufungsverfahren kassiert wurde. Am Ende einigten sich Microsoft und der Staat auf einen Vergleich, der vor allem eine hohe Strafzahlung einschloss.
Das Problem, so stellte sich rückblickend raus, war nicht unbedingt das Urteil. Sondern die Vorsicht, mit der Microsoft in der Firmenentwicklung vorgehen musste - die Manager hatten stets die Sorge, eine neue Wettbewerbsklage zu riskieren.
Der Fall Alphabet/Google ist nicht unbedingt vergleichbar. Aber die Kombination aus einem möglichen Paradigmenwechsel im Auffinden von Informationen (siehe ChatGPT) und einem jahrelangen Wettbewerbsstreit, der das Kerngeschäft der Firma bedroht und die Entscheidungen maßgeblich beeinflusst, ist eine existenzielle Herausforderung.
Bis nächste Woche!
Johannes