I/O 24/Mai/22
Digitalkonzerne und die CO2-Emissionen ihrer Geldreserven / Nostalgie für die Computer-Mailbox
Kurzbeobachtungen.
Digitalkonzerne und die CO2-Emissionen der Geldreserven
Der klimaaktivistische New-Yorker-Autor Bill McKibben berichtet über eine neue Studie, die es in sich hat - sofern man ihre Argumentation nachvollziehen möchte: Demnach ist der CO2-Fußabdruck, den die Vermögen der großen Digitalkonzerne hinterlassen, weit größer als die eigentlichen CO2-Emissionen durch ihre Produkte, Arbeitsstätten oder Firmenaktivitäten.
Zitiert am Beispiel Microsoft:
“The emissions generated by [Microsoft’s] $130 billion in cash and investments were comparable to the cumulative emissions generated by the manufacturing, transporting, and use of every Microsoft product in the world.”
Das ist eine krasse Bilanz, die allerdings indirekt errechnet wird: Denn es geht um die Verwendung der Geldmittel durch die Banken und Fonds, die diese verwalten und entsprechend für Investitionen einsetzen. Und in diesem Feld sind Versuche der Dekarbonisierung, also des Divestments, zuletzt (ich hatte es auf meinem Blog erwähnt) zurückgedrängt worden.
Solche Veröffentlichungen erhöhen natürlich den Druck, als klimabewusstes Westküsten-Unternehmen auch den indirekt erzeugten CO2-Abdruck stärker zu berücksichtigen. Ob sich allerdings von einer direkten Verantwortung sprechen lässt, hängt eher mit dem Selbstverständnis von Apple und Co. oder der eigenen Definition von Klima-Verantwortung als mit objektiven Kriterien zusammen.
Konkret artikuliert McKibben die Hoffnung auf eine Konfrontation unter XXL-Konzernen: Tech-Konzerne machen Druck auf Bank- und Finanzkonzerne, nicht in Öl- und Gaskonzerne (sowie ähnliche Infrastrukturen) zu investieren.
In unserer Welt, so wie sie angelegt ist, scheint diese “Politik im Kosmos der XXL-Konzerne” eine ziemlich effektive Steuerungsmöglichkeit. Vielleicht sogar angesichts der Machtbalance eines der effektivsten Werkzeuge der Klimapolitik. Wobei im Artikel Tech-Vertreter (anonym) äußern, dass ihr Einfluss auf Banken als Dienstleister weit geringer als ihr Einfluss auf die eigenen Lieferketten.
Um am Ende noch einmal die Perspektive zu wechseln: Aus Deutschland liest sich das Ganze derzeit mit gemischten Gefühlen. Denn wir sind gerade dabei, für unsere mittelfristige Gasversorgung LNG-Terminals zu bauen oder in die Erschließung von Gasfeldern vor Westafrika zu investieren. Also genau das, was McKibben eben auf Seiten der Finanzwelt absolut verhindern will. Und er macht das mit der ihm eigenen Unmittelbarkeit deutlich. Um ihn noch einmal zu zitieren:
“This is where the question of the future direction of capitalism comes in—whether it’s a suicide machine or capable of playing a crucial role in speeding the energy transition. The big banks and asset managers are the capital in capitalism, and they provide whatever magic lies at its heart: they know how to take money that you deposit today and turn it into twenty-year loans to pay for a piece of infrastructure designed to last forty years.”
Nostalgie für die Computer-Mailbox
Um zu verstehen, was das Internet sein könnte, müssen wir in die prähistorische Zeit der Digitalisierung blicken. Diesen Weg verfolgen zumindest offenbar zwei aktuelle Bücher, die derzeit rezensiert werden:
Kevin Driscoll: The Modem World: A Prehistory of Social Media (Rezension Ethan Zuckerman, New York Review of Books, $)
Justin EH Smith: The Internet Is Not What You Think It Is: A History, a Philosophy, a Warning (Rezension von William Davies, New Statesman)
Smith hatte auch ein Kapitel in Wired veröffentlicht, das ich aber nicht besonders interessant fand. Er leitet die Digitalisierung von Leibniz, Babbage und Lovelace ab, von einem aufklärerischen Wunsch nach technisch ermöglichter gegenseitiger Echtzeit-Verbindung. Daraus leitet er falsche Abzweigungen ab, aber ohne - wie verschiedene Rezensenten bemerken - daraus Vorschläge für die Zukunft zu machen.
Driscoll war mir kein Begriff und auch die Rezension macht jetzt nicht unbedingt Lust darauf, mein Zeitbudget für eine weitere Geschichte der vernetzten Computer-Mailboxen (Bulletin Board System, BBS) zu verwenden. Dennoch wird das Revolutionäre dieser Systeme in diesem Absatz der NYRB-Rezension noch einmal klar:
“The legendary Chicago-based Computerized Bulletin Board System, created by the hardware hacker Randy Suess and the programmer Ward Christensen in 1978 during a snowy winter, shows the sheer imagination and audacity necessary to establish a novel form of digital interaction. Personal computers were extremely uncommon in the late 1970s, and modems—specialized pieces of hardware that translate data into audible tones for transmission over phone lines—even more so. That the members of the Chicago Area Computer Hobbyist Exchange, to which Suess and Christensen belonged, would want a virtual space to converse between in-person meetings wasn’t obvious. More creative—and transgressive—was the idea that Ma Bell’s sacrosanct telephone lines could be commandeered by ordinary citizens and used to facilitate often playful text-based conversations among geeks.”
Später aber entdecken die Telefongesellschaften diese Verbindungen als Geschäftszweig. Die Ablösung des BBS durch das Provider-Modell gehört zu den vielleicht wichtigsten Wendungen der Telekommunikationsgeschichte.
Die durchkommerzialisierten Modelle wie btx und später das Telekom-Portal (ich erinnere mich noch an stinknormale Chaträume, die um die 15 Pfennige die Minute kosteten und ein sehr, sehr kleines Symbol, das ins WWW führte) setzten nicht durch. Aber auch das offene Web blieb letztlich ein Server-Client-Modell, an dem letztlich die Server-Anbieter (ob jetzt Google, Facebook oder sonstwer) irgendwie verdienten. Historisch betrachtet kein Wunder: Denn auch die Computer-Mailbox war ja ein Host, eine “Zentrale”, in die man sich einwählte. Was wiederum damit zu tun hatte, dass Datenspeicher sehr teuer waren.
Auch web3 wird solche Kontinuitäten der Zentralisierung aufweisen (siehe Infura etc.), denn mit dem Smartphone haben wir uns technologisch endgültig dafür entschieden, clientbasiert in die Zukunft zu gehen. Und das ist für mich ein Grund, warum auch einige web3-Kritiker mit ihren eigenen Vorstellungen vom “neuen, besseren Internet” oft so vage bleiben: Weil sie sich im Kern ein dezentrales Modell zu wünschen scheinen, das so nie existiert hat. Quasi die Digitalisierungs-Parallele zur Folk-Politik.
Links
Die New York Times über die fortschreitende Renationalisierung von Datenspeicher-Orten.
Die Digital-Großkonzerne als Gewinner der Tech-Konsolidierung im Abschwung?