I/O 220426 (kurze Notizen aus dem Internet-Observatorium)
Musk, Twitter als Gig-Work, Staatsgefährdung, EZB und Crypto
Das hier ist keine reguläre Ausgabe dieses Newsletters - die kommt im Laufe der Woche (Daumen gedrückt!).
I/O (Schnappschüsse) ist der Versuch, hier kurze Gedanken zu aktuellen oder semi-aktuellen Entwicklungen zu posten (zunächst geplant: Dienstag/Freitag). Ehrlicherweise sind zwei Postings pro Woche angesichts meines Zeitbudgets ziemlich ambitioniert. Es wird wahrscheinlich eher eine On/Off-Geschichte, ich hatte zunächst vor, das in Staffeln zu gliedern.
Elon Musk hat nichts damit zu tun, ich überlege schon länger, kürzere Notizen zu veröffentlichen. Mir kommen so viele Sachen unter, bei denen ich ohnehin die Gedanken dazu aufschreibe. Nun eben öffentlich und in gebündelter Form. Wem der Takt zu intensiv ist, kann in den Einstellungen die I/O-Sachen auch abbestellen (glaube ich zumindest). Wer mehr über die Social-Media-Themen erfahren möchte, die bei mir nur einer unter vielen Aspekten sein wird, dem kann ich das Social Media Watchblog empfehlen (das Ihr aber wahrscheinlich ohnehin schon kennt und hoffentlich unterstützt)
Die Formel ist also: “Aus dem Internet-Observatorium” = lange Texte und Essays, einmal im Monat. Durchnummeriert mit #Zahl. “I/O (Schnappschüsse) = kurze Beobachtungen, wahrscheinlich/vielleicht/wohl 2x wöchentlich, nummeriert nach Datum (JJ/MM/TT). Ich freue mich über Feedback!
Reaktionen Musk/Twitter
Eine Milliarde US-Dollar Zinsen jährlich, um dieses Höllenloch an der Backe zu haben? Mein Kommentar: WTF, WTF, WTF!??
Nein, im Ernst: Dass die Debatten der politisch-medial-akademischen Eliten in ungefähr sechs Monaten auf der Plattform des (zweit?)reichsten Menschen der Welt stattfinden, ist demokratietechnisch - gelinde gesagt - interessant. Und sagt einiges über die Zeit aus, in der wir leben. Ein paar Reaktionen:
Charlie Warzel (Galaxy Brain/The Atlantic): Twitter wird nicht schlimmer, aber ungefähr so chaotisch wie im Herbst 2016.
Kara Swisher (NYTimes): Trump wird zurückkehren, das problematische Werbegeschäft (schlechte Tech, toxisches Umfeld) ist schwer zu reparieren, angesichts des hohen Investments muss Musk nicht nur Produkt, sondern auch das Geschäftsmodell reparieren.
Casey Newton (Platformer): Werbefrei eher nicht, Abo-Modell vielleicht, Twitter als Protokoll womöglich. tl;dr: Niemand weiß, was Musk machen wird.
Noah Smith (Noahpinion): Niemand weiß, was Musk machen wird. Er könnte besser gegen staatliche Desinformationsoperationen vorgehen und den Quote-Tweet endlich abschaffen.
Jason Calanis (Investor und Musk-Freund): Das Produkt kann nur besser werden, das wird über verschiedene Formen von Identifizierung der Nutzer (Blue Check, bezahlt und unbezahlt) funktionieren - also stärkere Begrenzung der Interaktionsmöglichkeiten für Nutzer, die keine nachprüfbare Identität und/oder Geld hinterlegt haben.
Matt Levine (Bloomberg): Musk braucht eine Milliarde US-Dollar pro Jahr, um die Verbindlichkeiten zu bedienen. Das wird die Profite in den nächsten Jahren schlicht auffressen (was Auswirkungen auf R&D hat).
Ethan Zuckerman (Ethan Zuckerman):
Twitter als Gig-Work
Themenwechsel… äh, nicht ganz. Was ist Twitter eigentlich? Ryan Broderick, dessen Newsletter natürlich jede/r hier regelmäßig liest, zieht eine Parallele zu Uber:
“Twitter is Uber for ideas. It has turned normal, non-journalists into some amorphous editorial gig worker class where they have all the stresses and pressures of journalists without the often-meager salaries or free seltzer that come along with them. Dorsey built a central feed of unpaid thought workers who now surface pop cultural artifacts that huge media companies like the New York Times or CNN then turn into more formal pieces of content. Twitter doesn’t compete with these institutions, it has inserted itself as a middleman and only still exists because real media companies know how to monetize its content better than it can.”
Um das weiterzuspinnen: Die Creator Economy ist dann also so etwas wie die Care Economy, schlecht- bis unbezahlte Arbeit nicht am Menschen, sondern an der Content-Maschine. Nicht für die Allgemeinheit, sondern für Mark und Elon und die Likes. Moderne Zeiten.
Wann Demokratien Digitalfirmen für gefährlich halten
Vor einigen Tagen schon fand eine Debatte zur Digitalregulierung an der Universität Cambridge statt. Mit dabei u.a. der von mir geschätzte Tech-Journalist Charles Arthur und der IMO großartige Politologe David Runciman, der sich mit dem größeren Kontext “Zukunft der Demokratien” beschäftigt. Runcimans These: Es gibt bestimmte Bedingungen, unter denen Demokratien Tech-Plattformen als gefährlich betrachten werden. Aber wann genau?
Die Antworten:
Einfluss auf Wahlen? Nein, weil es eben nicht nur Verlierer, sondern auch Gewinner gibt. Zum Beispiel die Parteien, die von den radikaleren Diskursen auf Social Media profitieren. Wahlen also produzieren keine Veränderung der Haltung, sondern Konflikt zwischen Parteien über die Rolle, die Social Media spielt (siehe USA: zu viel/zu wenig moderiert).
Öffentliches Bewusstsein? Nein, dafür ist das Thema für die meisten Menschen nicht relevant genug.
Direkte Konkurrenz für den Staat durch die Firmen? Ja! Beispiel: Der amerikanische Staat und sein Einschreiten gegen Facebooks Cryptowährung Libra. Geld ist eben existentiell für Macht und Funktionieren des Staats. Aber die Analogie funktioniert zum Beispiel nicht beim Datensammeln oder Geschäftsmodellen wie Cloud-Computing, wo der Staat überhaupt nicht aktiv ist.
Runcimans Analogie: Als in den 1960er Jahren Raumfahrt ein existentieller Bereich des Kalten Krieges war, hätten die Nationalstaaten sicherlich etwas gegen Space-X oder Blue Origin getan.
Sein Verweis auf fehlgeleitete Paralllen zur Anti-Monopol-Politik der USA in den 1920ern: Damals gab es die Angst vor einer sozialistischen Revolution, hervorgerufen durch Ungleichheit und Ausbeutung der Arbeiterschaft. Die gibt es derzeit im Westen nicht.
Eine weitere These: Die EU packt das Thema an, weil sie kein demokratischer Staat ist, sondern eine Regulierungsorganisation (und weil sie mit einem kleineren Tech-Sektor weniger Interesse am ökonomischen Überleben der Digitalkonzerne haben).
Sicherlich keine perfekte Klassifikation, aber auch nicht völlig abseitig, wenn man von ganz, ganz oben draufguckt.
Ist das alles, EZB?
Am Montag habe ich dieses Panel zu Crypto verfolgt. Es war durchaus schockierend, auf welchem Niveau EZB-Direktoriumsmitglied Fabio Panetta gegen Cryptowährung argumentiert hat: Das Ganze sei nicht wirklich dezentral (richtig), ein Schneeballsystem (möglich, je nach Währung), das vor allem für illegale Aktivitäten wie Drogenkauf und Geldwäsche verwendet wird (äh… nein). Ich frage mich wirklich, wie eine Institution wie die EZB es sich erlauben kann, im Jahr 2022 Cryptowährungen mehr oder weniger einzig auf der Grundlage moralischer Panik bekämpfen kann. Das lässt tief blicken.
Nachdem ich kurz auf Twitter nach Reaktionen gesucht habe, weiß ich allerdings nicht, was ich ätzender finde: Panettas dünne Argumentationslinie oder die arrogante “Ihr seid doch bald überflüssig”-Reaktion der Crypto-Jünger.
Links
Wenn das Internet der Dinge zum Internet der Ziegelsteine wird.
Apple, Amazon, Google und der Versuch, gewerkschaftliche Organisierung in den USA zu verhindern.