I/O 13/Mai/22
DSGVO vs. Innovation, nordkoreanische Smartphones, Neues aus der Überwachungswelt
Kurzbeobachtungen rund um die Digitalisierung.
DSGVO vs. Innovation?
Diese Woche wurde eine Studie zur Wirkung der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) auf Apps im Google Play Store veröffentlicht (Zusammenfassung hier). Eine Erkenntnis: Nach Einführung der DSGVO ging die Zahl der Apps dort um ein Drittel zurück, wahrscheinlich wegen unklarer Datenverarbeitung und -weitergabe.
Der Titel “GDPR and the Lost Generation of Innovative Apps” legt die Folgen nahe: Weniger Apps heißt weniger Innovation heißt weniger Auswahl. Zitat:
“Whatever the benefits of GDPR’s privacy protection, it appears to have been accompanied by substantial costs to consumers, from a diminished choice set, and to producers from depressed revenue and increased costs.”
Auf Twitter (allerdings nicht im deutschsprachigen Raum) werden die Erkenntnisse heiß diskutiert. Und relativiert. Denn es ist nicht ganz sicher, ob der Rückgang wirklich vollständig auf die Datenschutzgrundverordnung zurückzuführen ist (ich habe andere Änderungen im Play Store oder App-Ökosystem in dieser Zeit nicht im Kopf, kann das also nicht bewerten).
Und dann ist natürlich die Frage, welche Apps da rausgeflogen sind: Joel Waldfogel, ein Ko-Autor, vertritt in einem Twitter-Thread selbst die Haltung, dass es sich um einen (sorry, keine gute Übersetzung zur Hand) “extinction event, but for intrusive creatures” handelt.
Aber: Es geht eben auch darum, welche Apps jetzt eben nicht entwickelt werden. Wenn, wie in der Studie berechnet, die Neuentwicklungen um die Hälfte zurückgehen, geht eben Innovation verloren. Ob diese Innovation unter dem Strich mehrheitlich sinnvoll ist, dem Verbraucher also geholfen hätte, steht auf einem anderen Blatt. Und der Verbrauchernutzen durch besseren Datenschutz lässt sich meiner Ansicht nach auch nicht gegen Verbraucherschaden durch schlechtere Innovation aufrechnen.
Die DSGVO wurde ohne Rücksicht auf sekundäre Effekte eingeführt. Das zeigt sich schon daran, dass es eben die großen Tech-Konzerne sind, die sich am leichtesten damit tun, die nötigen Anwälte und Anpassungen zu bezahlen. Europäische Konkurrenz hat sich dadurch noch nicht ergeben, und die Datenverarbeitung ist weiterhin undurchsichtig.
Auf der anderen Seite sind die Pflichten für kleinere Webseiten-, App- oder Shop-Betreiber über Gebühr gewachsen. Meiner Meinung nach übersteigt für solche “kleinere Einheiten” der Aufwand den konkreten Verbrauchernutzen deutlich. Das macht die DSGVO unter dem Strich nicht zu einem Verlustgeschäft, weil der Verbrauchernutzen definitiv insgesamt positiv ist - aber eben zu einem negativen Faktor für kleine und mittelständische Unternehmen sowie zu einer höheren Hürde für Innovation.
Korrektur Unicorns
Im letzten Newsletter habe ich die Verluste vieler Einhörner leider wegen einer etwas irreführenden Zahlen-Darstellung auf der Marketwatch-Seite deutlich zu hoch angesetzt. Die höchsten Milliardenverluste sind nicht zweistellig, sondern über drei Millionen US-Dollar im Jahr 2021. Drüben auf der Seite ist es korrigiert - ich bitte den fiesen Klopper zu entschuldigen, das hätte mir mit etwas Nachdenken auffallen müssen.
Nordkoreanische Smartphones
Ein Journalist-Security-Forscher-Tandem hat vor kurzem einen unterschätzten Bericht zu Smartphones in Nordkorea veröffentlicht. Sie sprachen dafür mit zwei aus Nordkorea Geflüchteten, die in dem Bereich Hacking-Versuche unternommen haben. Zudem analysierten sie ein Smartphone und ein Tablet.
Interessante Punkte:
Einige Zeit konnte man über den USB-Anschluss auf den Speicher der Smartphones der Pyongyang-Modellreihe zugreifen (de facto modifiziertes Android). Zum Beispiel, um die Überwachungs-App zu deaktivieren oder bestimmte Apps per Sideloading zu installieren (oder auch Funktionen wie Dual Sim). Das war aber nicht verbreitet, die Gesprächspartner schätzen die Quote auf 10 Prozent der Smartphone-Nutzer (Universitäten ca. 30 Prozent).
Seit dem Modell Pyongyang 2425 aus dem Jahr 2019 ist der USB-Zugang gesperrt.
Die Deinstallation der Überwachungssoftware wird seit 2020 unter dem „Gesetz gegen reaktionäre Ideologie und Kultur-Zurückweisung“ bestraft. Es drohen Strafen von zwei Jahren Haft bis hin zur Todesstrafe.
Die vorinstallierte Überwachungs-App „Trace Viewer“ macht zufallsgeneriert Screenshots, wenn das Smartphone angeschaltet ist und speichert sie in einem Verzeichnis, das Endnutzer nicht löschen können. Das gewünschte Resultat ist Selbstzensur.
Neu ist seit dem Pyaongyang 2425: Die Smartphone-Nutzer konnten früher noch die Screenshots angucken, inzwischen sind nur noch Dateinamen mit Datum und Uhrzeit zu sehen, die sich aber nicht aufrufen lassen.
Ein ausführliches Interview mit Co-Studienautor Martyn Williams ist bei BBC Digital Planet nachzuhören.
Weiteres aus den Annalen der Überwachungsgesellschaft
Einem Entwurf der EU-Kommission zufolge sollen Hosting-Firmen und Messenger-Dienste in Europa künftig dazu gezwungen werden können, Fotos und Videos von Kindesmissbrauch aufzuspüren – auch in privaten und verschlüsselten Nachrichten ihrer Nutzer.
Einer Studie der Universität Georgetown zufolge hat die US-Abschiebebehörde ICE eine gewaltige Überwachungsdatenbank aufgebaut. Dazu gehören Führerscheindaten, Abrechnungsdaten von Stromrechnungen sowie mögliche Informationen zu Fahrtbewegungen von 75 Prozent der US-Bevölkerung. Eine Datenbank zur Gesichtserkennung speist sich aus einem Drittel der amerikanischen Führerscheinfotos.
Die Grenz- und Palästinensergebiete sind zum zum Erprobungsfeld für neue Gesichtserkennungstechnologie aus Israel geworden.
Die Polizei in San Francisco möchte offenbar Aufnahmen der derzeit im Testbetrieb befindlichen autonomen Fahrzeuge von Waymo und Go für Ermittlungen nutzen. (btw: Vice bei den Überschriften einfach nur noch Clickbait)
Bonuszitat vom Besuch einer Messe für Grenzüberwachung (übersetzt von mir):
"Ein Anbieter betonte, dass der Markt für (Überwachungs-)Drohnen in den vergangenen Jahren explodiert sei. “Wissen Sie, warum?”, fragte ich ihn. Seine Antwort: “Es ist wie ein Hund, der Blut frisst und dann Fleischhunger bekommt."
Links
Die Internet-Mindestversorgung kommt, aber ein Recht auf schnelles Internet ist sie nicht (mein DLF-Beitrag).
Der Investment-Fonds Tiger Global hat Schätzungen zufolge den ersten vier Monaten dieses Jahres rund 17 Milliarden US-Dollar verloren. SoftBank hat im letzten Geschäftsjahr einen Verlust von mehr als 27 Milliarden US-Dollar geschrieben.
Laut US-Handelsministerin Gina Raimondo müssen russische Truppen teilweise Mikrochips aus Haushaltsgeräten für ihre Militärausrüstung verwenden. Das würde signalisieren, dass die Technologie-Sanktionen voll durchschlagen. Die Aussage ist allerdings derzeit nicht nachprüfbar.
Warum so viele Prominente Twitter verlassen haben.
Google versucht sich einmal mehr an einem Android-Tablet, das dem iPad-Konkurrenz machen soll.