I/O 06/Mai/22
Tech und die Zinserhöhung, agile Entwicklung und die Software-Krise, Datenpunkte im Krieg, "Birds Aren't Real" stinkt.
Kurzbeobachtungen, jetzt mit einem verständlicheren Datum im Titel.
Tech und die steigenden Zinsen
Steven Pearlstein, der die Kreditkrise von 2008 vorhergesehen hätte, schreibt in der Washington Post angesichts steigender Zinsen vom vorläufigen Ende des Booms - auch vom Ende überhitzter Tech-Werte:
“At some point in the not-too-distant future — once the hype has finally drained from the tech-crazy stock market and defaults start to roil the overleveraged credit markets, once housing prices fall back to earth and the crypto fantasy is dispelled, once we’ve settled into an extended period of stagflation — people will look back at this moment and say, “What were they smoking.”
Andy Kessler vom Wall Street Journal warnt in seiner aktuellen Kolumne vor einer strukturellen Überschuldung verschiedener US-Sektoren, und mutmaßt, dass auch Krypto-Investments ziemlich stark beliehen sind. Und beide nennen Elon Musks Twitter-Investment als Beispiel für strukturelle Überschuldung, die auf hohe (Tesla-)Aktienwerte beruht. Falls der Twitter-Deal platzen sollte, kann man bei Pearlstein nachlesen, warum das nicht überraschend kommt.
Ich bin ja Laie, deshalb ein paar Gedanken, die unbedingt nicht als Investmentberatung zu verstehen sind.
Ich nehme an, dass wir in der EU hinter den Kulissen gerade hektische Versuche von Startups erleben, vor der EZB-Zinserhöhung Funding einzutüten.
Wohl den Gründern und Gründerinnen, die ihr Geld nicht blind in Strohfeuer-Wachstum gesteckt haben, sondern Tech und Team parat haben, um notfalls aufgekauft zu werden.
Anderswo sehen wir schon Korrekturen, auch jenseits der GAFAs dieser Welt, die jetzt für konservativere Anlageformen in den Portfolios Platz machen müssen.
Zoom ist wieder ziemlich genau auf dem Preisniveau vom 1. März 2020, also vorpandemisch.
Zu den erhöhten Zinsen kommt auch die Erkenntnis, dass sich viele Beschleunigung der Digitalisierung durch Corona noch nicht verstetigt hat (siehe: Lebensmittel-Schnelllieferungen, Peloton-Hype), und wir wieder im “alten Normalen” zurück sind
(bei Zoom kommt die Tatsache hinzu, dass man de facto eine einzelne Funktion als Software anbietet).
Andere Branchen wie z.B. Halbleiter scheinen mir strukturell durch staatliche Priorisierung deutlich besser aufgestellt als zuvor.
Auch Firmen rund um Datenanalyse und Automatisierung müssten, so sagt es mir mein gemeiner Menschenverstand, weiter gefragt sein.
Und bei den “etablierten Tech-Werten”? Für die Airbnbs, Just Eat Takeaway und Ubers dieser Welt wird es, glaube ich… interessant.
Bei den Amazons, Apples und Alphabets dieser Welt (und bei Firmen wie Palantir) dagegen fehlt mir die Fantasie, mir jenseits einer Kurskorrektur mittelfristig irgendeinen Absturz vorzustellen.
Agile Entwicklung und die Krise der Software
Miriam Posner erzählt im Magazin Logic (das ich wirklich ans Herz legen kann) die Geschichte der agilen Softwareentwicklung nach. Ein Siegeszug, der mit dem Siegeszug schneller Internetverbindungen und des “Update over the air” zu tun hatte (agile Entwicklung, wenn man zweimal im Jahr eine CD-Rom verschickt, ergibt wenig Sinn).
Ein paar Thesen aus dem Essay, die jeder selber bewerten möge:
Agile ist bereits Vergangenheit. Die Methode löst das “wie”, aber nicht das immer wichtigere “was”.
Eigentlich ist es schlicht Management, die klassische Hierarchie wird durch subtilere Hierarchien abgelöst.
Die Gefahr des Burnouts, wenn Sprint auf Sprint folgt.
Agile Entwicklung hat keinen Blick auf das Gesamte.
Der Zweck ist vielmehr: Die Chain of deniability, also die Möglichkeit, Verantwortung abzuschieben.
Aber: Die Selbstorganisation hat das Potenzial, Solidarität zu fördern. Was zum Beispiel bei der gewerkschaftlichen Organisation (v.a. in den USA).
Und noch ein Zitat:
“When software engineering failed to discipline the unwieldiness of development, businesses turned to Agile, which married the autonomy that developers demanded with a single-minded focus on an organization’s goals.”
Datenpunkte im Krieg
“Even those fleeing the war, and those caught in it, or fighting, it seems, are experiencing much of it through their phones.”
Diese Feststellung über den Ukraine-Krieg stammt von Dean Kissick, der für das Kunstmagazin Spike eine Kolumne über die Schnittstelle von Kunst und Digitalisierung schreibt. Der Satz ist banal, und doch eine Ungeheuerlichkeit, wenn wir uns vergegenwärtigen, was er über den Stand der digitaltechnologischen Einbettung der Menschheit sagt.
Eine interessante Anschlussfrage wäre, wer über all diesen Content und die Metadaten am ehesten den “God View”, also den Überblick hat. Ein menschliches Auge kann es nicht sein, aber welches digitale Auge? Der TikTok-Algorithmus sicher nicht, auch nicht der YouTube-Algorithmus oder Metas interner Instagram-Crawler. Eine uns noch unbekannte Entität womöglich, irgendwo in den Militärgeheimdienst-Serverräumen Chinas oder der USA, den Inhalt nicht auf nur auf Content, sondern auf reine Datenpunkte reduzierend? Oder vielleicht schlicht die Server ukrainischer Telekom-Anbieter, die gerade die Schatten der Kriegsbewegungen in Form von Pings an Sendemasten wahrnehmen?
Zitiert: Warum “Birds Aren’t Real” schlechte Satire ist
Freddie de Boer (übersetzt von mir):
“Gute Parodien arbeiten fast immer gegen offizielle Narrative an, entlarven Scheinheiligkeit und haben dabei eben nicht den Segen der priesterlichen Kasten unserer Gesellschaft. [Birds Aren’t Real] macht das Gegenteil: Es schmeichelt dem Establishment, tropft von angeberischer Überlegenheit, und scheint speziell dafür entwickelt worden zu sein, Lob von jenen Menschen zu bekommen, die die NPR-App über ihre iPads auf ihre geschmackvollen Bose-Lautsprecher streamen.”