Hallo zu einer neuen Ausgabe! Da mein Terminplan im Moment sehr voll ist, erscheint der Newsletter ein klein wenig verändert - mehr Notizen, weniger Kontext. Vielleicht ein Format für die Zukunft? Hier auf jeden Fall schon einmal ein Hinweis: Kommende Woche erscheint keine Ausgabe.
Erste DMA-Indizien
Zwei Dinge fallen bei den bisher bekannten Änderungen der US-Plattformen im Zuge des Digital Market Acts auf: Apples will eine „Kerntechnologie-Gebühr“ einführen, die von Entwicklern verlangt, Apple 0,50 € für jede erste jährliche Installation pro Jahr über einem Schwellenwert von 1 Million für Apps zu bezahlen, die außerhalb seines App Stores verteilt werden. Heißt: Apple versucht es App-Anbietern möglichst unattraktiv zu machen, über alternative App-Stores (von denen allerdings noch keiner existiert) verfügbar zu werden. Im Sinne des DMA ist es nicht und wir werden sicherlich bald von EU-Seite irgendeine Form von Verfahren sehen.
Die zweite interessante Änderung betrifft Google: Google Flight Search verschwindet in Europa, ähnlich wie andere Reise- und Preisvergleichfunktionen des Konzerns. Stattdessen wird man stärker auf andere Aggregatoren wie Booking.com verlinken, nach eigenen Aussagen weniger direkt auf Hotelseiten, Seiten von Fluglinien, Händlern oder Restaurants. Hier hat man den Eindruck, dass Google den DMA absichtlich so umsetzt, dass eine größtmögliche Zahl von Akteuren sich gegen die DMA-Folgen wehrt und die Regulierung als unnütz abtut. Mal sehen, in ein paar Wochen wird sich ein klareres Bild ergeben.
EMO
EMO bedeutet “Emote Portrait Alive” - ein System der KI-Forscher von Alibaba, das ein einzelnes Porträtfoto animieren und Videos der Person erzeugen kann, wie sie spricht oder singt. Das Besondere: Zum ersten Mal erscheinen (mir zumindest) die Gesichtszüge und Bewegungen der Gesichtsmuskeln realistisch (Beispiele siehe hier und hier).
Wir sind noch etwas entfernt von wirklich hochqualitativem synthetischem Content. Aber das Ganze wird besser und werden in einigen Teilbereichen schon bald die Finetuning-Phase erreichen.
Musk vs. OpenAI
Elon Musk verklagt OpenAI wegen Vertragsbruch, und seine Argumentation lautet im Kern (übersetztes Zitat):
“OpenAI, Inc. wurde in eine de facto Tochtergesellschaft des größten Technologieunternehmens der Welt, Microsoft, umgewandelt, die als Closed-Source betrieben wird. Unter seinem neuen Vorstand entwickelt es nicht nur, sondern verfeinert tatsächlich ein AGI, um den Gewinn für Microsoft zu maximieren, anstatt zum Wohl der Menschheit.”
Bei der Bewertung der Klage sei auf Ben Thompson verwiesen. Was ganz interessant ist: Musk behauptet hier, dass OpenAI bereits eine Künstliche allgemeine Intelligenz (AGI) entwickelt hat und bezieht sich dabei offenbar auf dieses Paper. Das Argument lautet: Für AGI gab es aber zwischen Microsoft und OpenAI gar keine Lizenzvereinbarung
Das ist alles etwas kurios, und OpenAI wirft Musk im Gegenzug vor, seinerseits versucht zu haben, OpenAI zum Teil von Tesla zu machen. Gut (oder schade?), dass das kein Sympathiewettbewerb ist.
AGI und LSD
Connor Leahy macht keine Gefangenen, wenn er Bullshit sieht - muss er nicht, er erlebt ja auch nicht im Silicon Valley. In diesem Posting diagnostiziert er den angeblich libertären Anhängern einer Artificial General Intelligence (AGI) recht gekonnt Obrigkeitsdenken, das er mit dieser Geschichte verknüpft (übersetzt):
“Ich erinnere mich an eine Geschichte, wie eine Gruppe von KI-Forschern bei einer führenden Organisation (betrachten Sie dieses Gerücht als völlig fiktiv und illustrativ, aber wenn Sie dessen Quelle finden wollten, ist es nicht so schwer, sie in Berkeley zu finden) extrem deprimiert wegen der AGI und dem Problem, sie nach menschlichen Zielen zu gestalten. Sie waren überzeugt, dass die Welt unrettbar verloren wäre, wenn ihr Unternehmen weiterhin auf diese Weise eine AGI entwickeln würde.
Was haben sie also getan? Gekündigt? Einen Protest organisiert? Eine Petition an die Regierung gestartet?
Sie fuhren tief in die Wüste hinaus und nahmen eine Menge LSD... und als sie zurückkamen, fühlten sie sich alle nicht mehr so gestresst wegen dieser ganzen AGI-Doom-Sache, und es gab keinen Bedarf mehr für sie, eine aufreibende Konfrontation mit ihrem großen, furchteinflößenden CEO zu haben.”
Warum?
Ich frage mich wirklich, warum jemand mit so viel journalistischer Erfahrung einfach einen derartigen Schrott ins Netz kippt. Oder nicht weiß, was es mit Begriffen wie “Cyber-Angriff” auf sich hat. Die einzige “Cyber”-Lehre aus dem “Taurus-Leak” sollte sein: Wer über das schwarzen Telefon kommuniziert, sollte nicht von Sachen reden, für die nur über das rote Telefon diskutiert werden dürfen. Gilt für die Bundeswehr und Bundesregierung, ist aber auch in der freien Wirtschaft hilfreich.
Glanz und Elend der viralen “Willy Wonka Experience”
Die vielleicht witzigste KI-Geschichte der vergangenen Wochen spielte in Glasgow: Dort hatte ein Eventveranstalter “Willy [Wonka]’s Chocolate-Experience” angekündigt ("an immersive experience”). Das Ganze war schön mit KI-Bildern von Lollipop-Wäldern und Geleebohnen-Wasserfällen bebildert und kostete umgerechnet 40 Euro Eintritt. Die Realität… sah nicht ganz so fantastisch aus.
Der KI-Einsatz ging so weit, dass die Schauspieler vor Ort Texte lernen mussten, die offensichtlich von ChatGPT oder ähnlicher Software erstellt wurden. Am Ende musste die Polizei anrücken, nachdem sich Eltern Medienberichten zufolge massiv über die Abzocke (und weinende Kinder) beschwert haben sollen.
Das Ganze ist ziemlich witzig (die Videos von vor Ort lohnen sich in ihrer Trostlosigkeit), aber auch bitter: Denn dieser ganze lieblose KI-Kram wird weiter in unseren Alltag einsickern, so falsch und oberflächlich wie die Leute, die das irgendwie zum Geldverdienen nutzen. Und wir werden uns daran gewöhnen und mit den Achseln zucken, den schleichenden Verlust des menschlichen Faktors in unserer Umgebung irgendwann wahrscheinlich gar nicht mehr vermissen. Also, genießen wir den kurzen Moment von Melancholie, wenn wir den ersten Drive-In-Burger bei einer KI bestellen.
The Future Ahead Will Be Weird AF
Bis zur nächsten Ausgabe in 14 Tagen!
Johannes