Aus dem Internet-Observatorium #67
Digitaler Euro / Zwischenbilanz der amerikanischen Chip-Exportkontrollen
Hallo zu einer neuen Ausgabe! Dieses Mal von unterwegs und mit einem etwas längerem Kontext-Stück zum digitalen Euro, einem sehr relevanten Thema.
Digitaler Euro
Ich habe derzeit einige Hüte auf, unter anderem wirke ich auch bei einer gemeinnützigen Denkfabrik zu eFin und Demokratie mit. Das Ganze läuft über das Zentrum verantwortungsbewusste Digitalisierung (Zevedi) in Darmstadt. Ein Hinweis für alle Journalistinnen und Journalisten, die hier mitlesen: Es gibt auch ein Journalist-in-Residence-Programm, Bewerbungen sind herzlich willkommen.
Aber zurück zum Thema: Im Zuge der Sitzung vergangenen Woche über den digitalen Euro habe ich einiges gelesen und natürlich auch aus den Gesprächen mitgenommen. Hier ein Versuch, wichtige Konzepte und Fragen zu erklären. Ergänzend kann ich den Zevedi-Podcast “Digitalgelddickicht” zur Einführung empfehlen.
Warum digitaler Euro?
Durch neue Zahlungswege und Digitalisierung wird mehr privates Geld genutzt und immer weniger öffentliches Zentralbankgeld (Bargeld). Im innereuropäischen Zahlungsverkehr dominieren zum Beispiel Mastercard, Paypal und Visa. Neue Krypto-Währungen, aber vor allem das - inzwischen eingestellte - Facebook-Projekt einer eigenen Währung, “Diem” (ehemals Libra), haben EU und EZB unter Druck gesetzt, selbst eine digitale Währung anzubieten. Nebenbei spielt auch noch FOMO eine Rolle, denn derzeit beschäftigen sich zahlreiche Länder mit einer Digitalisierung ihrer Währung.
Ein Ausgangspunkt: Im digitalen Raum kann ich nicht bar bezahlen. Oder, im Falle einer Kreditkarten-Nutzung im EU-Ausland: Ich zahle zum Beispiel in Frankreich an einer Tankstelle, aber über eine amerikanische Firma.
Der Staat kann ein Zahlungsmittel schaffen, das mehr Privatsphäre schafft und zumindest in bestimmter Compliance-Grenzen (vgl. Geldwäsche) anonym ist und dem Bargeld ähnlich. Die Governance einer solchen Währung könnte ebenfalls mehr in Richtung Anonymität geleitet werden, als Alternative zum Data Mining, das Teil von Transaktionen mit Diensten wie PayPal ist.
Was bedeutet die Abkürzung CBDC?
Der “digitale Euro” ist eine Central Bank Digital Currency (CBDC): Ein digitales Zahlungsinstrument, das in der nationalen Rechnungseinheit denominiert ist und eine direkte Verbindlichkeit der Zentralbank darstellt.
Dabei muss man zwischen zwei Arten von CBDCs unterscheiden: Retail und Wholesale. Retail CBDC bezeichnet digitales Geld, das im allgemeinen Wirtschaftskreislauf fließt, unter anderem unter Beteiligung menschlicher Endnutzer. Wholesale CBDC wiederum beschränkt sich auf den Inter-Banken-Verkehr und Wertpapierhandel. Letzteres ist zum Beispiel sinnvoll für die Digitalisierung des internen Zahlungsablaufs - zum Beispiel grenzüberschreitende Transaktionen, die derzeit noch über altmodische Saldensysteme funktionieren.
Ein charmanter Aspekt ist der Wettbewerb, der durch Fintechs entstehen könnte, die direkten Zugang zu Zentralbankgeld bekommen würden. Mehr Wettbewerb würde im Idealfall dafür sorgen, dass Zahlungsanbieter und Banken nicht mehr ohne weiteres überzogene Gebühren nehmen können (“rent extraction”). Eine weitere Möglichkeit, die der digitale Euro (Retail) ermöglichen würde, wären Direktzahlungen an Bürgerinnen und Bürger.
Prinzipiell kann man sagen: Wholesale CBDCs sind langweilig, aber der Sinn erschließt sich sofort. Bei Retail CBDCs ist das etwas komplexer, aber dazu gleich mehr.
Wo stehen wir im Moment?
Die EU-Kommission hat Ende Juni einen Vorschlag gemacht, wie ein Rechtsrahmen für den digitalen Euro aussehen könnte. Derzeit findet eine Art Fact-Finding-Mission zu konkreten Hürden und der Ausgestaltung statt.
Der Prozess steht also relativ am Anfang und wird nach den Europawahlen irgendwann im Trilog landen. Die Umsetzung des digitalen Euro verbleibt am Ende bei der EZB. Im Alltag sollen die Menschen den digitale Euro per Smartphone-App (vgl. Wallet-Anbieter) oder/und vermutlich über eine Bezahlkarte verwenden.
Offen ist bislang, ob die Blockchain als technisches Fundament für den digitalen Euro verwendet wird - im Moment sieht es nicht so aus. Klar scheint zumindest, dass Zentralbankgeld selbst nicht über einen distributed ledger abgebildet wird.
Programmierbares Geld vs. programmierbare Zahlungen
Über den digitalen Euro herrscht Verunsicherung, teilweise werden auch Ängste geschürt, z.B. in Deutschland in den Niederlanden. Zum Beispiel über den digitalen Euro als programmierbares Geld: Also Geld, bei dem ich bestimmte Käufe technisch unterbinden kann (z.B. “er Digitale Euro darf nicht verwendet werden, um Zigaretten zu kaufen”). Andere Szenarien wären zum Beispiel eine “Entwertung auf Knopfdruck”. Im Kommissionsentwurf ist die Einführung eines programmierbaren Euro ausgeschlossen.
Etwas anderes sind programmierbare Zahlungen. Bislang gibt unser Bezahlsystem für Endkunden nur eine A-Priori-Programmierung her, a.k.a. Daueraufträge. Eine Digitalwährung könnte Warenstrom, Informationsstrom und Geldstrom verbinden. Beispiel: Ich wiege einen Container mit Ware x, das Gewicht löst direkt eine genaue Zahlung aus. Oder auch: Ich miete ein Auto und zahle am Ende kilometergenau, ohne dass ich irgendwelche Daten eintragen oder ablesen muss. Perspektivisch wären der digitale Euro / CBDCs auch für Machine-to-Machine-Payments (Industrie 4.0) und dezentrale Web3-Zahlungen ausgelegt.
Die Rolle der Banken
Der Entwurf der EU-Kommission sieht kein P2P-Geld vor, bei denen Bürgerinnen und Bürger direkt Konten bei der Zentralbank erhalten. Vielmehr sind Payment Service Provider (PSP) weiterhin als Zwischenhändler vorgesehen. Zahlungsverkehr und Registerführung werden über das Eurosystem abgewickelt.
Insgesamt berücksichtigt man bereits jetzt im frühen Stadium die Interessen der Banken. Kein Wunder: 40 Prozent ihrer Refinanzierungssumme kommt aus Kunden-Einlagen, die Sorge ist groß, dass der digitale Euro ein Stabilitätsrisiko darstellt (z.B. durch Umwandlung von Einlagen in digitale Euros in einer Bankenkrise).
Deshalb soll dem Vorschlag zufolge ein Haltelimit für den digitalen Euro gelten: 3000 Euro pro Person. Und: Der digitale Euro soll nicht verzinst werden dürfen. Kurz: Der digitale Euro soll nicht der Wertaufbewahrung dienen, sondern als Zahlungsmittel. Damit unterscheidet man sich auch von Krypto-Währungen. Und: Die Nutzung des digitalen Euro ist für den Endkunden gebührenfrei, aber die PSP können anderswo Gebühren verlangen (z.B. von Händlern oder Wallet-Anbietern, so wie ich das verstehe). Diese sollen aber regelmäßig überprüft werden.
Es gibt Stimmen, die die zentrale Rolle der Finanzbranche kritisieren: So können zwar öffentliche Stellen ebenfalls den Zugang zum digitalen Euro ermöglichen, aber nur als “letzte Möglichkeit” - zum Beispiel für Menschen, die bei einer Bank kein Konto bekommen. Die Kritik: Damit verschenkteman die Möglichkeit, die gesellschaftliche Abhängigkeit von der Finanzindustrie zu verringern und systemische Risiken, die aus der Instabilität einzelner Institute resultieren, zu verringern - man verpasst also letztlich die Möglichkeit, ein “öffentliches” Finanzsystem zu bauen, das nicht mehr völlig auf die Privatwirtschaft angewiesen ist.
Haltelimits, Anti-Geldwäsche-Gesetze und Datenschutz-Fragen
Mit beschriebenem Haltelimit und auch bestehenden Anti-Geldwäsche-Gesetzen kommen Fragen des Datenschutzes ins Spiel: Der Brüsseler Entwurf sieht die Unterscheidung von Online- und Offline-Zahlungen vor. Online-Zahlungen entsprechen dem, was wir aktuell schon über die (meist amerikanischen) Anbieter abwickeln. Hier werden Daten erfasst.
Offline-Zahlungen sollen eine Form von virtuellem Bargeld simulieren, das man zum Beispiel über NFC von Smartphone zu Smartphone austauscht. Es werden also keine Daten über Herkunft und Empfänger erhoben
Wegen Geldwäsche-Auflagen u.ä. sollen sowohl Online-, als auch Offline-Zahlungen gedeckelt werden. Die Durchsetzung von Höchstgrenzen für Online- und Offline-Zahlungen durch die EZB wirft allerdings technische und ethische Fragen auf. Benötigt sie nicht eigentlich Echtzeit-Zugriff auf Benutzerdaten um zu prüfen, ob jemand mehrere Konten mit digitalen Euro-Beständen hat? Zudem ist unklar, ob eine Verknüpfung zwischen Online- und Offline-Zahlungskonten erforderlich sein wird, um hier wirklich das bisherige Kontrollniveau aufrecht zu erhalten.
Erfahrungen in China
China gilt derzeit als Vorreiter der Digitalwährung und hat bereits den EYuan eingeführt. Ob er auf der Blockchain basiert, darüber gibt es unterschiedliche Einschätzungen.
In China hängt die Einführung natürlich auch mit der Kontrolle von Geldflüssen und damit auch der allgemeinen Überwachungspolitik zusammen. Es geht aber auch darum, privatwirtschaftliche Akteure wie AliPay oder WeChat Pay in die Schranken zu weisen.
Anders als die EU-Pläne ist China bei den Haltelimits weniger streng: Umgerechnet 65 000 Euro kann eine Einzelperson in ihrem Wallet aufbewahren. Im Durchschnitt sind es allerdings nicht einmal umgerechnet 50 Cent. Obwohl die Umsätze mit dem EYuan beachtlich sind, handelt es sich in der Regel um Wholesale-Umsätze, also Transaktionen innerhalb des Finanzsystems.
Allerdings machen die Regierungen in den entsprechenden Modellregionen Druck und zahlen offenbar teilweise Gehälter an Staatsbedienstete nur in EYuan aus - was dazu führen soll, dass auch die private Nutzung angekurbelt wird.
Ein Zwischenfazit
Der digitale Euro soll mehrere Dinge gleichzeitig: Europäische Alternativen zu Diensten wie PayPal ermöglichen, die Euro-Währung geopolitisch resilienter machen und zugleich ein vertrauenswürdiges Zahlmittel für die Bevölkerung werden. Nebenbei will man unbedingt verhindern, dass die Banken durch die Einführung in Schwierigkeiten kommen.
Das ist alles schwer zu erreichen: Natürlich ist die Marktdurchdringung am Ende eine Frage der Usability der angebotenen Endprodukte; aber Eigenschaften wie Haltelimits und Verzinsungsverbot machen den digitalen Euro auf den ersten Blick nicht besonders attraktiv. Die Frage ist, ob es zur Einführung Anreize geben wird (vgl. Münzpaket beim Start des Euro, aber auch bestimmte Discounts bei CBDCs in anderen Ländern).
Das Interesse scheint auch vor allem bei jenen EU-Ländern größer, die in ihren Zahlungswegen noch nicht besonders digitalisiert sind (also auch Deutschland). Die Theorie, dass europäische Payment-Großanbieter alleine durch den Zugang zu Zentralbankgeld entstehen, sehe ich skeptisch. Den Bereich Wholesale dagegen halte ich für absolut sinnvoll.
Allerdings sind die europäischen Institionen jetzt bereits in der Defensive: Politische Gegner stellen den digitalen Euro in den Zusammenhang mit staatlicher Überwachung und der Abschaffung des Bargelds. Hier scheint man in Brüssel und Frankfurt zu gefangen in den eigenen Abläufen, um zu erkennen, dass ein solches Projekt nur durch Transparenz und öffentliche Beteiligung Akzeptanz finden kann. Und selbst das garantiert später noch keine Adaption im Alltag.
Wie steht um die Chip-Exportkontrollen?
Am 7. Oktober 2022 verhängte die US-Regierung Exportkontrollen gegen China - nicht nur für Ausrüstung zur Chip-Produktion, sondern auch für bestimmte Cutting-Edge-Chips. Die Verbote galten für Technik, die für die militärische Nutzung verwendet werden konnte (z.B. moderne KI-Chips) oder dafür dienen könnten, den Westen in bestimmten Branchen erpressbar zu machen. In Politico Tech hat Gregory Allen vom Center for Strategic and International Studies (CSIS) eine sehr interessante Bilanz gezogen. Hier die Zusammenfassung:
Wie groß ist der Schwarzmarkt? Es gibt einen Schwarzmarkt für die Nvidia-Chips, die für das Training fortgeschrittener KI-Modelle verwendet werden. Aber er scheint in China nicht besonders groß zu sein.
So läuft es: Vollverbote wie für Dünnschichttechnik funktionieren gut. Andere Modelle wie Exportlizenzen mit US-Regierungserlaubnis und chinesischen Unternehmensgarantien, diese nur für bestimmte Zwecke verwenden, funktionieren dagegen nicht. Nvidia bietet zum Beispiel modifizierte Chips an, die verwendbar, aber qualitativ nicht hochwertig sind.
Das Exportverbot von Produktionsmaschinen: Es funktioniert nicht wie gewünscht, wenn man bedenkt, dass Huawei zuletzt einen Sieben-Nanometer-Chip vorstellte. Aber: Die Produktion solcher Chips in großer Stückzahl und Qualität hat man mit den Exportverboten unterbunden.
Die anderen Länder: Seit Juli ist Japan Teil der Exportkontrollen, seit September die Niederlande. Allerdings sind Auslieferungen bereits bestellter Teile und Maschinen noch bis Ende des Jahres möglich.
Das größte Schlupfloch: Chinas Firmen versuchen, mit Strohfirmen Teile und Chips anzukaufen. Das kann mal schneller auffliegen, mal langsamer - und die nächste Strohfirma ist schnell registriert.
Der Unterschied zum kalten Krieg: Anders als bei der Sowjetunion pflegen die USA und China weiterhin enge Handelsbeziehungen. Die entsprechenden Behörden sind trotz erweiterter Aufgaben nicht entsprechend ausgestattet, hier ausreichend zu kontrollieren.
Das US-Handelsministerium will schon seit langer Zeit die finalen Exportregeln veröffentlichen. Dabei geht es um Modernisierung der aufgeführten Technologie-Prozesse (die sich regelmäßig verändern), eine Harmonisierung mit den japanischen Exportregeln (die mehr Chemikalien beinhalten) und das Schließen der Schlupflöcher, zum Beispiel bei Ersatzteilen und Instandhaltung. Das Verbot der “Endnutzung” könnte in vielen Bereichen zu einem pauschalen Exportverbot in Richtung China verschärft werden.
Allen erzählt auch, dass die US-Regierung dieses Mal China offenbar vor der Verschärfung gewarnt haben könnte. Sollte das stimmen, zeigt es, dass die Biden-Regierung das Verhältnis trotz allem stabilisieren möchte. Denn im Herbst 2022 gab es Missverständnisse: China interpretierte die Exportverbote strenger, als sie waren - das lag daran, dass die US-Firmen erst einmal alle Exporte einstellten, um sich mit den neuen Verboten vertraut zu machen.
Links
Die Vorwürfe, dass Google Suchanfragen gegen Marken-Keywords austauscht, sind offensichtlich falsch (ich hatte das OpEd vergangene Woche verlinkt). ($)
Hamas-Angriff auf Israel: Finanziert mittels Cryptogeld? ($)
China und Saudi-Arabien intensivieren ihre Zusammenarbeit bei der Chip-Entwicklung. (€)
Die anstehende KI-Entbündelung?
Viel Desinformation und synthetischer Content zum Israel-Hamas-Krieg bei X/Twitter. Die EU will eine Stellungnahme.
Social Media und verdeckte Einfluss-Operationen im türkischen Wahlkampf.
23AndMe wurde gehackt & geleakt.
Alexa verbreitet Verschwörungstheorien.
Motel One und die miese Kommunikation des Hacks. (€)
Bis zur nächsten Ausgabe!
Johannes