Hallo zu einer neuen Ausgabe! In dieser Woche erwartet Euch/Sie ein monothematischer Newsletter - ich habe ein Interview mit Chris Miller geführt, Autor des in den USA vielgelobten Buches “Chip War”. Das Buch ist gestern auch auf deutsch bei Rowohlt erschienen. Das Interview habe ich Mitte August für meine Andruck-Rezension im Deutschlandfunk geführt, die kommenden Montag um 19:15 Uhr (oder danach hier) zu hören ist. Es geht um Innovation, die Komplexität der Branche, aber immer wieder auch um die geopolitischen Aspekte der Chip-Produktion.
Und ein kleiner Programmhinweis: Falls keine außergewöhnlichen Ereignisse eintreten, erscheint in der kommenden Woche keine Ausgabe. Der Newsletter ist am 27. September zurück.
Herr Miller, in Ihrem Buch kommen viele prägende Persönlichkeiten der Halbleiter-Entwicklung vor: William Shockley, der die erste Halbleiter-Theorie aufstellte. Jack Kilby und Intel-Mitgründer Robert Noyce, die den Mikrochip de facto erfunden haben. Dazu der zweite Intel-Mitgründer Gordon Moore, TSMC-Gründer Morris Chang. Gibt es etwas, das sie gemeinsam haben?
Miller: Ich konnte viele Einzelpersonen studieren, die sehr brillante Ingenieure, Physiker oder Wissenschaftler waren. Aber eines, das mir besonders auffiel: Diese Menschen waren nicht nur kluge Ingenieure. Sie hatten auch eine Vision von neuen Produkten, die geschaffen werden könnten, und einen Plan, wie man sie kostengünstig herstellen könnte. Das hat mir dabei geholfen, den Prozess der technologischen Innovation zu verstehen.
Das beste Beispiel dafür ist Bob Noyce, einer der beiden Personen, denen die Erfindung des Halbleiters zugeschrieben wird. Er war ein am MIT ausgebildeter Physiker mit sehr beeindruckenden technischen Qualifikationen. Aber was ihn wirklich auszeichnete, war die Tatsache, dass er in die Zukunft sehen und Anwendungen für Halbleiter vorstellen konnte, die zu der Zeit sonst niemand erkennen konnte. Das lag im Kern nicht an seinen Fähigkeiten als Physiker oder Ingenieur. Es war seine geschäftliche Vision, die ihm und seiner Firma einen Vorsprung gaben.
Steve Jobs sagte einmal zu Bill Clinton: “Das Silicon Valley verlangt keine Almosen.” Aber wie wichtig waren die NASA und das Verteidigungsministerium in den ersten Jahrzehnten des Halbleiterzeitalters?
Die Nachfrage des Verteidigungssektors war entscheidend. Der Schlüssel war dabei nicht so sehr, dass das Verteidigungsministerium Zuschüsse an Unternehmen vergab - obwohl es das tat. Entscheidend war, dass es von beiden eine immense Nachfrage nach Produkten gab, die die Chipindustrie produzierte, am markantesten von der NASA.
Zu der Zeit waren Militär und NASA wirklich die einzigen Institutionen weltweit, die bereit waren, die hohen Preise zu bezahlen, die die ersten Chip-Generationen mit sich brachten. Das gab den Chipunternehmen gleich zu Beginn eine Kundenbasis, die es ihnen im Laufe der Zeit ermöglichte, ihre Fertigungsprozesse zu verfeinern, die Kosten zu senken und das, was sehr teuer begann, zu kostengünstigen Chips weiter zu entwickeln, um es am Massenmarkt zu verkaufen.
Heute machen Militär und Luft- und Raumfahrt vielleicht ein oder zwei Prozent aller verkauften Chips aus. Aber nur weil es in den 1960er Jahren eine Nachfrage aus der Rüstungsindustrie gab, war es möglich, die Chipindustrie in Gang zu bringen."
Um das Jahr 1968 wanderte die Chip-Produktion in Richtung Asien. Woran lag das?
Aus der Perspektive der Unternehmen war es nur eine Geschäftsentscheidung. In Asien waren die Löhne niedriger. Viele Elemente des Fertigungsprozesses, insbesondere der Montage- und Verpackungsprozess, waren arbeitsintensiv. Aber für Regierungen gab es dahinter eine politische Logik: Die US-Regierung wollte Asiens Regierungen - Singapur, Taiwan, Korea, Malaysia und andere - enger an das westliche System binden.
Und noch wichtiger, aus der Sicht der Staatschefs dieser Länder: Sie wollten damals ihrerseits die USA enger an sich binden. Um Investitionen anzuziehen und Arbeitsplätze zu schaffen. Aber auch, um sicherzustellen, dass sie in das wirtschaftliche und politische System der USA eingebunden waren.
Erinnern wir uns an die Position, in der sich Länder wie Taiwan oder Korea befanden: Beide sahen sich einer existenziellen militärischen Bedrohung durch das kommunistische China beziehungsweise Nordkorea gegenüber. Dadurch hatten sie ein sehr starkes Bedürfnis sicherzustellen, dass die USA an ihrer Sicherheit Interesse zeigten. Und die Bindung an die USA über die Halbleiterindustrie war eine Möglichkeit, dies zu tun.
Wie haben Halbleiter den Ausgang des Kalten Kriegs beeinflusst?
Ich bin inzwischen überzeugt davon, dass sie eine Grundlage dafür waren. Als ich das Projekt begann, hatte ich das nicht erwartet. Aber im Laufe meiner Forschung wurde mir klar, dass fast jede militärische Technologieveränderung von den 1950er Jahren bis heute durch fortschrittliche Computertechnik und damit durch Halbleiter ermöglicht wurde.
Wenn man sich heute ein Flugzeug, einen Panzer oder eine Artillerie-Waffe ansieht, stellt man fest: Von außen haben sie sich seit 40 Jahren kaum verändert. Aber im Inneren sind sie fundamental anders: Durch den Einsatz neuer Sensoren, neuer Kommunikationsfähigkeiten, durch Datenverarbeitung und die Fähigkeit, diese Gerätschaften zu vernetzen. Und was wir heute auf den Schlachtfeldern zwischen der Ukraine und Russland sehen, sind Armeen, die zunehmend Hightech-Fähigkeiten nutzen. In einigen Fällen sogar autonome Fähigkeiten.
Obwohl Halbleiter selbst keine Militärausrüstung sind, kann man die Veränderungen in den Armeen nicht verstehen, ohne Halbleiter ins Zentrum der Analyse zu stellen. Und das war etwas, das den Westen während des Kalten Krieges von der Sowjetunion unterschied: Die Sowjets hatten genügend Fähigkeiten, um Panzer, Raketen und massive Atomwaffen zu bauen. Aber sie konnten keine Chips herstellen. Daher hatten sie mittelmäßige Computer. Sie konnten Computertechnik nicht in ihr Verteidigungssystem integrieren, deshalb blieben sie militärisch weit zurück.
Und ich denke, das war eine Hauptursache für den Verlust des Vertrauens in ihre Verteidigungsfähigkeiten, aber auch in ihr wirtschaftliches und politisches System insgesamt. Das war einer der Faktoren, die sie dazu brachten, im Kalten Krieg aufzugeben.
Warum gelang es der Sowjetunion nicht, im Halbleiter-Bereich mitzuhalten?
Das ist interessant, denn eigentlich könnte man denken, dass sie doch dazu fähig gewesen sein müssten. Die Sowjetunion investierte enorme Summen in die Halbleiterindustrie. Es gab eine sehr starke wissenschaftliche Basis von gut ausgebildeten Physikern, von denen einige Nobelpreise in halbleiterbezogenen Disziplinen gewannen.
Aber die Sowjetunion hatte zwei Hauptprobleme zu bewältigen: Erstens konzentrierte sie sich von Anfang an nicht darauf, selbst Innovation zu schaffen, sondern auf das Kopieren. Der KGB wurde eingesetzt, um Chips und Pläne für Maschinen zur Chip-Herstellung aus Europa, den USA und Japan zu stehlen. Und das sorgte in der Industrie der Sowjetunion für eine Kopiermentalität. Sie erfanden nichts selber. Und das war einfach kein guter Weg, um zu konkurrieren.
Die zweite Herausforderung: In der UdSSR gab es nie einen großen Verbrauchermarkt. Westliche Firmen konnten in die USA verkaufen, nach Europa, nach Japan, in den Rest der Welt. In der Sowjetunion war der Endverbraucher-Markt dagegen sehr viel kleiner. Daher erreichte die Halbleiter-Industrie nie die Größe, die an den Westen heranreichte. Und infolgedessen blieb man technologisch rückständig.
Wie folgenreich war es für die Chip-Branche, dass man irgendwann dazu überging, Design und Produktion zu trennen?
Es war absolut entscheidend: Die Erfindung des Foundry-Geschäftsmodells durch Morris Chang in den 1980er Jahren führte zu enormen Innovationen - sowohl im Design, als auch in der Fertigung. Das Konzept war im Grunde, dass Morris Chang für Halbleiter das sein wollte, was Gutenberg für Bücher war: Gutenberg konnte keine Bücher schreiben, er druckte sie nur. Morris Chang wollte keine Chips entwerfen, er wollte sie nur herstellen.
Das ermöglichte es ihm, sein Unternehmen TSMC auf die Fertigung zu spezialisieren, den Fertigungsprozess in einem außergewöhnlichen Maße zu verfeinern, während es gleichzeitig möglich wurde, dass neue Chip-Design-Firmen mit viel niedrigeren Kapitalkosten und viel niedrigeren Startkosten entstanden, weil sie keine Fertigung betreiben mussten. Sie konnten alles an Foundries wie TSMC auslagern. Und das war ein Haupttreiber dafür, warum die Industrie ihren Weg außergewöhnlicher Innovation fortsetzen konnte.
Inwiefern spiegelt der ganze Entwicklungs- und Produktionsprozess bei Halbleitern die Entwicklungen der Globalisierung wieder?
Ich denke, die Chipindustrie veranschaulicht nicht nur die Globalisierung, sie ist tatsächlich ein Treiber der Globalisierung. Wenn man über die Entscheidung der Branche nachdenkt, die Montage in den frühen 1960er Jahren nach Ostasien zu verlagern, war das lange bevor andere Branchen globalisiert wurden. Diese Lieferkette von Halbleitern, die sich von Europa über die USA und Japan bis nach Taiwan erstreckt, ist wahrscheinlich die am stärksten globalisierte von allen heute existierenden Industrien. Und sie steht sicherlich unter erheblichem Druck, dieses Geschäftsmodell zu ändern.
Was passiert jetzt, wenn wir uns in Richtung Deglobalisierung entwickeln?
Ich bin nicht einverstanden mit dem Begriff “Deglobalisierung”. Ich kann keine Anzeichen dafür sehen. Wenn sie sich die Schlagzeilen der letzten Monate ansehen, werden sie feststellen, dass Intel aus den USA eine Investition von 20 Milliarden Dollar in Deutschland angekündigt hat. TSMC in Taiwan hat gerade eine bedeutende Investition in Deutschland bekannt gegeben. Samsung aus Südkorea baut Chipfabriken in den USA. TSMC baut Chipfabriken in Japan.
Das ist keine Deglobalisierung, das sind einige der größten ausländischen Investitionsvereinbarungen, die jemals in der Geschichte der Welt angekündigt wurden. Was passiert, ist, dass es eine bedeutende Veränderung in der Art und Weise gibt, wie China sich zum Rest der Chipindustrie verhält.
Wie sieht diese Veränderung aus?
Wenn Sie sich die Entwicklungen der letzten zehn Jahre ansehen, stellen Sie fest, dass China tatsächlich ein sehr kleiner Akteur in der Chipindustrie geblieben ist. China ist in keiner der fortgeschrittenen Fähigkeiten präsent, sei es im Design oder in der Fertigung. Es spielt eine eher mittelgroße Rolle in der Montage von Low-End-Halbleitern.
Dabei hat die chinesische Regierung in den vergangenen zehn Jahren jedes Jahr zig Milliarden Dollar ausgegeben, um ihre Chipindustrie aufzubauen. Darauf reagiert nun der Rest der Welt, weil man fürchtet, dass dies kein fairer Wettbewerb ist. Man kann sich das amerikanische oder das EU-Programm zur Halbleiter-Subventionierung ansehen: China gibt seit einem Jahrzehnt ungefähr diesen Betrag jedes Jahr aus. Das Volumen dieser Investitionen ist wirklich beispiellos.
Eine weitere Befürchtung: Wenn China in der Lage ist, die fortschrittlichsten Chips selbst herzustellen, wird es diese für Verteidigungs- und Geheimdienstanwendungen einsetzen. Und das ist etwas, das - insbesondere da das militärische Gleichgewicht in der Taiwanstraße bereits zugunsten Chinas kippt - die US-Regierung, die japanische Regierung und einige andere Regierungen ziemlich beunruhigt.
Was wir tatsächlich sehen, ist also keine Deglobalisierung, sondern eine De-Chinafizierung, in der Unternehmen versuchen, ihre Abhängigkeit von China zu begrenzen oder von Regierungen gezwungen werden, ihren Technologietransfer und ihre Investitionen in China zu verringern. Denn jetzt wird genauer darauf geblickt, welche Arten von Transaktionen mit China erlaubt sind und welche nicht.
Ist die chinesische Strategie gescheitert?
Es hat sich gezeigt, dass man, wenn man viel Geld ausgibt, zumindest eine Menge Fertigungskapazität für die Produktion von Niedrigtechnologie aufbauen kann. Bis jetzt hat China jedoch fast keine effektiven Unternehmen aufgebaut. Daher wird dies für China wirtschaftlich verschwenderisch sein, aber auch immens marktverzerrend. Denn wenn diese Unternehmen ihre Fertigungskapazitäten in Betrieb nehmen, genau wie China es mit Stahl getan hat, genau wie es mit Solarmodulen gemacht hat, wird dies erhebliche Auswirkungen auf die Märkte im Rest der Welt haben.
Was wir sehen werden: Westliche Chipfirmen - Europäer, Japaner, Amerikaner und Taiwanesen - werden unter immensem Preisdruck von chinesischen Wettbewerbern kommen, die Chips mit niedrigerer Technologie auf den Markt bringen, diese aber weit unter den Marktpreisen anbieten und dadurch Marktanteile gewinnen.
Ich denke deshalb, wir sollten mit zunehmenden Handelsstreitigkeiten über Halbleitersubventionen rechn en. Die USA werden beteiligt sein, aber ich denke, es wird zunehmend um Europa und um japanische Unternehmen gehen, die direkt mit stark subventionierten chinesischen Wettbewerbern konkurrieren, genau wie wir es vor einem Jahrzehnt bei Solarmodulen gesehen haben.
Nun produziert China aber eine Menge von den Rohstoffen, die für die Chip-Produktion nötig sind - auch für die „Cutting-Edge“-Chips mit ganz kleine Nanonmeter-Größen…
China spielt heute in drei verschiedenen Bereichen eine Rolle. Erstens bei den Niedrigtechnologie-Chips, die China - ich habe es gerade erwähnt - stark subventioniert. Zweitens produziert China eine Reihe von Rohstoffen, die für die Chip-Herstellung benötigt werden. Und drittens spielt China eine wichtige Rolle bei der Montage und Verpackung von Halbleitern. Wenn es um Rohstoffe geht, stellt man fest: Die meisten Rohstoffe, die China produziert, sind Materialien, bei denen es nicht unbedingt einzigartige Abbaukapazitäten hat. Diese Rohstoffe sind tatsächlich an vielen Orten zu finden.
Was China hat, ist ein Monopol oder Quasi-Monopol bei der Verarbeitung dieser Materialien. Und es hat die starke Marktposition in der Verarbeitung und Raffinerie. Erstens, weil die chinesische Regierung viel Geld hinein steckt, also handelt es sich wieder nicht um marktwirtschaftlichen Wettbewerb. Und zweitens, weil die Umweltstandards in China viel laxer sind als im Westen und der Verarbeitungsprozess natürlich viel kostengünstiger ist, wenn man zum Beispiel Umweltregeln nicht befolgt.
Die aktuelle Dynamik besteht also darin, dass China bei bestimmten Materialien und bestimmten Chemikalien eine starke Marktposition hat - nicht wegen einzigartiger technologischer oder geologischer Dynamiken, sondern einfach wegen der Art und Weise, wie die chinesische Regierung Geld investiert und diese Industrien reguliert. Wenn westliche Regierungen wollten, könnten sie das leicht ändern. Im Moment gibt es einfach nicht den politischen Willen, die notwendigen Ausgaben und die notwendige Deregulierung zu tätigen, um das Spielfeld zu ebnen und die Produktion dieser Art von Materialien im Westen zu ermöglichen.
Wie schwer wäre es für China, in den nächsten Jahren zum Beispiel, solche Litographie-Maschinen herzustellen wie sie vom niederländischen Anbieter ASML kommen?
Niemand kennt die Antwort auf diese Frage, wir können ja nicht in die Zukunft schauen. Die Maschinen, die ASML heute anbietet, sind die komplexesten Werkzeugmaschinen, die der Mensch je hergestellt hat. Es gibt Hunderttausende von Komponenten. Zu den Komponenten gehören die flachsten Spiegel, die der Mensch je hergestellt hat, einer der leistungsstärksten Laser, der jemals in einem kommerziellen Gerät eingesetzt wurde. Ständige Explosionen, die bei einer Temperatur stattfinden, die 40 oder 50 Mal höher ist als die Oberflächentemperatur der Sonne.
Das ist eine Technik, die komplexer ist als fast alles, was wir bislang je gesehen haben. Daher denke ich, dass es sehr schwierig sein wird. Es geht nicht darum, dass man eine Maschine baut, die einmal funktioniert, sondern eine Maschine, die fast ständig in Hochgeschwindigkeitsfertigung mit nahezu perfekter Genauigkeit arbeitet. Es ist also relativ einfach, etwas herzustellen, das einmal oder gelegentlich oder ein paar Mal funktioniert. Es ist viel, viel schwieriger, etwas herzustellen, das so genau und zuverlässig funktioniert, dass es in der Hochgeschwindigkeitsfertigung eingesetzt werden kann.
Und wenn wir darüber nachdenken, ob China das kann, ist das eigentlich der schwierige Teil. ASML brauchte fast 30 Jahre, um zu herauszufinden, wie man EUV-Litographen produziert. Also denke ich nicht, dass dies etwas ist, was ein Konkurrent über Nacht erreichen kann.
Deutschland subventioniert Intel und TSMC, um hier Produktion aufzubauen und keine Versorgungsprobleme zu bekommen: Ist das eine kluge Politik?
Wissen Sie, wenn wir Begriffe wie “Versorgungsprobleme” verwenden, benennen Sie das Problem, über das wir sprechen, nicht mit der nötigen Ehrlichkeit. Nämlich das Risiko, dass China Taiwan blockiert oder angreift. Politiker müssen verständlicherweise etwas vorsichtig sein, wenn sie über diese Fragen sprechen. Aber ich denke, in der Öffentlichkeit müssen wir ehrlich sagen, um was es geht.
Es gibt nur ein Versorgungsproblem, das zählt: Und das ist das China-Risiko im Zusammenhang mit einem Angriff auf Taiwan, der hundertmal kostspieliger wäre als die Subventionen. Ich übertreibe nicht, hundertmal kostspieliger und disruptiver als der Mangel, den wir während der Pandemie gesehen haben, weil Taiwan ein so absolut kritischer Lieferant ist.
Und deshalb pumpen nicht nur die US-Regierung, sondern auch verschiedene europäische Regierungen, die japanische Regierung, Südkorea, Singapur, die indische Regierung und andere wie nie zuvor Geld in ihre Chipindustrien, weil sie eine stärkere geografische Diversifizierung wollen. Es geht nicht um Selbstversorgung.
Man kann einige naive Politiker finden, die Begriffe wie Unabhängigkeit oder Selbstversorgung verwenden. Aber das ist reine Fantasie. Das wird nicht passieren. Es geht um Diversifizierung, denn derzeit gibt es a) zu viel Konzentration der Chip-Produktion entlang Chinas Grenzen und b) investiert China so viel Geld in seine Chipindustrie, dass der Westen, wenn er nicht reagiert, Marktanteile an China einbüßen wird.
Also ist das Argument “Hier entstehen Arbeitsplätze und Industrie-Standorte” vorgeschoben?
Es geht nicht um Arbeitsplätze. Politiker werden unweigerlich sagen, dass wir x Anzahl von Arbeitsplätzen schaffen werden, aber das ist eine alberne Erklärung. Es geht darum, dass während der Pandemie kleine Halbleiterengpässe Hunderte Milliarden Dollar kosteten. Die meisten Menschen wissen nicht, dass während der Pandemie die Anzahl der weltweit produzierten Chips jedes Jahr gestiegen ist. Aber weil die Nachfrage noch schneller wuchs, gab es Engpässe. Allein in der globalen Autoindustrie schätzt man, dass dies zu Störungen in Höhe von mehreren hundert Milliarden Dollar führte, weil Autounternehmen keine Autos verkaufen konnten.
Wenn China Taiwan blockieren oder angreifen würde, würden die Kosten in Billionen von Dollar beziffert. Es wären nicht nur Autos betroffen, sondern auch Smartphones, PCs, Telekommunikationsinfrastruktur, Rechenzentren, aber auch Geschirrspüler und Kühlschränke. Wenn es eine Blockade oder einen Angriff auf Taiwan gäbe, würden unsere Wirtschaften im Westen zum Stillstand kommen, weil wir die benötigten Chips nicht bekommen könnten.
Daher können wir die Aussagen der Politiker über Arbeitsplätze völlig außer Acht lassen. Es geht um ein anderes Problem. Und die Gesamtkosten wären so hoch, dass Ausgaben von zig Milliarden Dollar oder zig Milliarden Euro als Versicherung dagegen meiner Meinung nach eine vernünftige Reaktion sind.
Was werden in den nächsten Jahren die größten Veränderungen sein?
Die entscheidende Veränderung wird die zunehmende Konzentration auf die Produktion von Halbleitern für künstliche Intelligenz sein. Die meisten Menschen denken bei KI an Daten, an Algorithmen, aber tatsächlich wäre sie ohne Halbleiter unmöglich.
Halbleiter, die sich exponentiell verbessert haben, machen es möglich, KI-Systeme wie die von OpenAI oder Facebooks Llama zu trainieren. Es wäre vor einem Jahrzehnt schlichtweg uneconomisch gewesen, diese Systeme zu trainieren, weil die damit verbundenen Kosten enorm gewesen wären. Dank der Fortschritte bei Halbleitern wurden die Kosten für das KI-Training gesenkt. Und diese Entwicklung wird die Kosten in Zukunft weiter senken.
Daher werden wir zunehmend den Einsatz von Halbleitern für eine ganz andere Reihe von KI-Anwendungen sehen. Und das wird ein Schlüsseltreiber für das Wachstum der Digitalindustrie sein.
Werden wir eine geteilt Welt der Halbleiter erleben?
Wir werden nicht zwei völlig getrennte Bereiche sehen. Aber ja, wir werden eine wachsende Zweiteilung zwischen einem chinesischen und einem nicht-chinesischen Bereich beobachten, in China westliche Unternehmen zunehmend vom chinesischen Markt ausschließt. Insbesondere wenn es darum geht, Chips für Autos zu verkaufen. Und natürlich bauen chinesische Unternehmen bereits die größte Autoindustrie der Welt auf. Und der Westen wird, umgekehrt, chinesische Unternehmen vermehrt von seinen Märkten ausschließen. Diese Teilung hat gerade erst begonnen und wird noch lange andauern.
Bis zur nächsten Ausgabe!
Johannes