Aus dem Internet-Observatorium #36
Die Woche in KI / Firmen und Tech 2023 (zwei Listen) / FTX und die BAYC-Sotheby's-Auktion
Willkommen zur aktuellen Ausgabe! Heute etwas kompakter als vergangene Woche.
Die Woche in KI (Sammlung)
Ein paar Notizen zu aktuellen Entwicklungen rund um selbstlernende Software.
The Information ($) hat die Hintergründe des mutmaßlichen 10-Milliarden-Dollar-Deals zwischen Microsoft und OpenAI aufgeschrieben. Was daraus nicht ganz klar wird: Glaubt OpenAI-Chef Sam Altman an erfolgreiche Mainstream-Geschäftsmodelle für Software wie ChatGPT oder zweifelt er an der Standalone-Monetarisierung? Microsoft will ChatGPT-Funktionen auf jeden Fall entlang all seiner Produkte ausrollen.
Max Read stellt in seinem Newsletter sieben Fragen zu AI. Einige davon sehr grundsätzlich („Ist KI Bullshit?“), einige sind aber auch sehr relevant („Wer verdient am Ende Geld damit, ist vor allem Sam Altman?“ „Welche Kultur/Szene gruppiert sich rund um die Technik?“)
Casey Newton verlinkt in seinem Newsletter auf ein neues Paper zum Thema “automatisierte Beeinflussung durch Generative AI” aus dem Stanford Internet Observatory. Die Autoren sehen mehrere Angriffspunkte:
Automatisiertes Spear-Phishing, personalisiert mittels Machine Learning
Bots, um persönliche Bedrohungen zu verstärken.
Deepfakes für Online-Betrug oder Rufschädigung
Informationsverschmutzung durch massenhaftes Posten von Falschinformationen
Als Gegenmaßnahmen schlagen die Forschenden eine ganze Reihe von Strategien vor:
Nathan Sanders und Bruce Schneider warnen in diesem Zusammenhang davor, dass ML-Anwendungen demokratische Mitbestimmungsprozesse (z.B. öffentliche Gesetzeskommentare im Internet) manipulieren könnten.
Apropos Maschinen-Content: Dieses Quora-Profil zeigt, dass es gar nicht auffällt, wenn alle Antworten mit ChatGPT geschrieben wurden.
Auf der Ebene experimenteller Anwendungen profiliert Cade Metz in der New York Times “Character A.I.” eine Webseite, in der man mit historischen und fiktionalen Figuren chatten kann (von Super Mario bis Sigmund Freud).
Katherine Dee beschäftigt sich mit den bezahlten Tätigkeiten - Internet-Texter, Anwaltsassistenten, Kundenservice-Mitarbeitende – die durch Software wie ChatGPT wegfallen könnte. Dabei geht es auch um die Frage: Wofür arbeiten wir und erfüllen Bürojobs mit niedriger Komplexität einen anderen Zweck, der ihre Existenz rechtfertigt?
Hollis Robbing argumentiert, dass (menschliche) Assistenz- und Sekretärs-Jobs im Zuge der Automatisierung von Organisationstätigkeiten strategisch aufgewertet werden sollten. Inklusive Aufwertung der Bezeichnung (“Enterprise Administrator”, “Management apprentice”, “Organizational attaché”).
Wie Kalley Huang berichtet, beginnen Universitäten in den USA, ihre Lehr- und Prüfungspläne wegen ChatGPT umzubauen:
“Some professors are redesigning their courses entirely, making changes that include more oral exams, group work and handwritten assessments in lieu of typed ones.”
Getty Images verklagt StabilityAI (Stable Diffusion) wegen der Nutzung von Agenturbildern zu Trainingszwecke. Und die drei Künstlerinnen, die bereits OpenAI verklagt haben, gehen nun auch gegen StabilityAI und Midjourney wegen Urheberrechtsverletzungen vor.
Firmen und Technologie - zwei Listen für 2023
Rund um den Jahreswechsel ist die Zeit der Listen. Diese beiden aus den vergangenen Tagen fand ich interessant.
Die 10 bahnbrechenden Technologien 2023 (MIT Technology Review)
Die Liste (Übersicht hier) enthält vor allem Deep Tech (gezüchtete Organe), teilweise auch Durchbrüche oder Markt-Adaption existierender Technik - zum Beispiel der entstehende Militärdrohnen-Massenmarkt, DNA-Sequenzierung der Menschheitsgeschichte entlang oder Batterie-Recycling.
Diese beiden Technologien fallen in den Bereich, den dieser Newsletter behandelt:
Generative Bild-KI
Begründung: Stable Diffusion (Stabilität AI), DALL-E, Midjourney haben den Mainstream erreicht. Und dabei Urheberrechtsfragen aufgeworfen und Künstler mobilisiert, sich gegen die Verwendung ihrer Werke zur Wehr zu setzen. Mit Effektkünstlern und Videospiel-Studios experimentieren gerade weitere Branchen, wie sie die neue Technik anwenden können.
RISC-V (“Risk Five”), der offene Standard zur Herstellung von Mikroprozessoren
Begründung: Die offene Befehlssatzarchitektur RISC-V setzt sich langsam durch - . 3100 Forschungseinrichtungen und Firmen arbeiten inzwischen zusammen, um auf Open-Source-Basis Chips herzustellen oder einzukaufen. Der Vorteil: Im Gegensatz zu Herstellern wie ARM ist a) die Auswahl größer und es werden b) keine Lizenzgebühren fällig.
Bloomberg Businessweek: 50 Firmen, die man 2023 beobachten sollte
Die Liste (Landing Page hier, $) basiert auf den Auswertungen von Bloomberg Intelligence (BI) und damit auf einer großen Menge von Marktdaten. Sie enthält eine ganze Reihe von Tech- und Digitalfirmen - hier eine Kurzübersicht.
ASML (Lithographiesystemen für die Halbleiterindustrie, Niederlande): BI erwartet bei dem Quasi-Monopolisten 25 Prozent Umsatzsteigerung, deutlich mehr als bislang anvisiert.
TSMC (Halbleiterproduzent aus Taiwan): Kommt laut Prognose besser als durch die Wirtschafts- und Chip-Krise, die zweistellige Umsatzsteigerung wird auch von einer neuen Generation von Miniaturisierungen vorangetrieben.
Cognizant (IT-Beratung und Outsourcing, USA): Verliert der Prognose zufolge überdurchschnittlich Kunden, die bisherige Marktstellung ist bedroht.
Crowdstrike (Cybersicherheit, USA): Durch den weiterhin anhaltenden Trend des “Bring Your Own Device” sehr gefragt bei Firmenkunden.
Ebay (Online-Marktplatz, USA): Bietet inzwischen Authentizitätsgarantien und Kauf-Zertifizierungen, um den Betrug auf der Plattform zu reduzieren. Könnte mit kaufbaren besseren Platzierungen und einer veränderten Werbe-Oberfläche ähnlich wie Amazon einen Umsatztreiber entdeckt haben. Zum positiven Ausblick trägt auch der Fokus auf erneuerte Produkte statt reiner Neu- oder Gebrauchtwaren bei.
Luxshare (Elektronikkomponenten, China): Der Gesamtanteil an den iPhone-Produktionsaufträgen könnte bis 2025 von sechs auf 25 Prozent steigen. Zudem ist man größter Akteur in der Lieferkette für Airpods. Positiver Ausblick.
Mediatek (fabless Mikrokontroller-Hersteller, Taiwan): Laut BI kurz davor, Qualcomm beim Verkaufszuwachs zu überholen. Vor allem durch die Chipprodukte für 5G und eine gute Verankerung auf dem indischen Markt.
Meta (Onlinewerbekonzern, USA): BI hält die kalkulierte Gewinnmarge für zu optimistisch. Das Reality Lab für die Entwicklung des Metaverse verschlingt weiterhin hohe Entwicklungskosten, die Probleme im Anzeigenmarkt sind bekannt. Hinzu kommen die Reels-Zahlungen an Kreative, um die Abwanderung Richtung TikTok oder YouTube zu verhindern.
Microsoft (Software, USA): BI erwartet, dass das Cloud-Computing insgesamt anzieht und sich die Cloud-Integration mit seiner Integration ins Geschäftsmodell für Desktop-Produkte auszahlt. Für mich weiterhin - trotz der Kurseinbrüche 2022 - die unterschätzte Erfolgsgeschichte der Zehnerjahre und frühen Zwanziger.
Netflix (Streaming, USA): Die Aussichten sind besser als erwartet, so die Analyse. Sorgen, dass die neue werbefinanzierte Abostufe für Kannibalisierung im Kerngeschäft sorgt, bewahrheiten sich laut Vorhersage nicht.
FTX und die Bored-Apes-Auktion
Jemand geht unter dem Namen “Wave” den Menschen hinter dem “Bored Apes Yacht Club” (BAYC) ziemlich auf die Nerven. Mit Enthüllungen über die dahinter stehende Firma Yuga Labs und ihrer Verantwortlichen.
Aktuell sehr spannend: Eine minutiöse Auflistung von Indizien, die nahe legen, dass niemand anderes als FTX 2021 die Bored-Apes-NFTs bei Sotheby’s zu Rekordpreisen (24 Millionen US-Dollar) ersteigerte.
Warum ist das wichtig? Weil genau diese Auktion NFTs erstmals in den (medialen) Mainstream katapultierte - und damit auch BAYC als Wertanlage seriöser wirken ließ, als es die Tokens waren/sind. Ich behaupte mal: Hätte es damals nicht diese Auktion gegeben, wäre die NFT-Welle weit geringer ausgefallen.
“Wave” stellt dabei auch die Frage, ob es sich womöglich um einen weiteren Verdachtsfall von Investmentbetrug durch FTX handelt. Pump and dump, aber mit einem Langfrist-Blick auf den Gesamtmarkt. Ich halte die Beweisführung, soweit ich es beurteilen kann, für überzeugend. Dieser mögliche Zusammenhang FTX-BAYC wird im Zuge der aktuellen Entwicklungen wahrscheinlich dieses Jahr nochmal richtig in den Mainstream einsickern.
Links
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Johannes