Aus dem Internet-Observatorium #151
Welt- und Tech-Erklärungen / Dan Wangs "Breakneck" / Binance-Begnadigung
Hallo zu einer neuen Ausgabe! Wer die Wochen zählt, hat es mitbekommen: Diese Ausgabe war eigentlich schon am vergangenen Sonntag fällig. Allerdings gab es eine Menge zu tun, unter anderem durfte ich auf dem Vergaberechtstag in Düsseldorf sprechen und war auch sonst gut beschäftigt. Deshalb schon einmal prophylaktisch eine Entschuldigung, wenn dieser Newsletter nicht immer ganz pünktlich erscheint.
Appetizer: Aus dem Tagesspiegel Background
Interview mit dem Mistral-CEO: Ich habe ein längeres Gespräch mit Arthur Mensch geführt, in dem es um den KI-Standort Europa, Regulierung, die Blasen-Fragen und vieles mehr geht.
Was die österreichische Digitalsteuer wirklich ist: Wolfram Weimer möchte eine Digitalsteuer einführen und sich an Österreich orientieren. Eduard Müller hat für uns aufgeschrieben, worum es dort wirklich geht (Spoiler: es ist eine Werbesteuer, die es schon vorher gab) und wie sich diese Steuer entwickelt hat.
24-Stunden-Gründungen: Firmengründungen innerhalb eines Tages abzuwickeln, das ist eines der großen Versprechen der neuen Bundesregierung. Bastian Hosan hat sich angesehen, was dafür im (gesetzlichen und technischen) Backend passieren muss und wie es bei den Pilotprojekten der Länder läuft.
Quo vadis, Deutschlandstack? Das Sorgenprojekt Deutschlandstack kann sich in verschiedene Richtungen entwickeln. Welche das sein könnten und welche Möglichkeiten und Probleme sich aus dieser Pfadabhängigkeit ergeben, hat Viola Heeger analysiert.
Rückkehr der Hackback-Debatte: CSU-Innenminister Alexander Dobrindt hat wieder etwas ins Spiel gebracht, was verdächtig nach Hackback klingt. Benjamin Hilbricht mit einem Überblick, was rechtlich überhaupt möglich wäre und wem das Bundesinnenministerium mit dem Vorstoß ins Gehege kommt.
Welt- und Tech-Erklärungen
Gut neun Monate nach der Amtsübernahme von Donald Trump und der DOGE-Episode hat die Erklärbuch-Saison begonnen, die “Dark Silicon Valley”, Trump und die globale illiberale Bewegung zusammendenken und erklären möchte.
Journalist und Tech-Kritiker Jacob Silverman blickt in “Gilded Rage” auf die Radikalisierung von Elon Musk und Co.. Mit seiner These vom Technofaschismus von oben folgt er der gängigen Interpretation der politischen Linken, mir selbst ist das bekanntlich zu unterkomplex (eine hilfreiche FT-Rezension hier, €). tl;dr: Werde ich wohl eher nicht lesen.
Giuliano da Empoli wiederum analysiert in “The Hour of the Predator” (“Die Stunde der Raubtiere”) Technologie und Chaos als Werkzeuge gegen den Konsens von Davos, also den klassischen Konsens der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Offenheit. Obwohl das Buch schon in den ersten Seiten die zivilisatorische Apokalypse skizziert (Tech-Oligarchen werden als Konquistadoren beschrieben, unsere Demokratien als die naiven Azteken), scheint mir dieser Angang vielversprechender. Anfang kommenden Jahres erscheint auch “Disruption” von meinem geschätzten ehemaligen SZ-Kollegen Jannis Brühl.
Wer mit mir spricht oder hier manchmal liest, kennt meine Position: Ich bin sehr skeptisch, wenn Populäranalysen sich der “Great-Man-Theory” bedienen. Da wird Peter Thiels Ideologiesuppe plötzlich zur ausgetüftelten Blaupause für die Revolution stilisiert, während das komplexe Zusammenspiel von Forschung, Technologie, Steuerrecht (und damit Eigentumsverhältnissen) und Regulatorik zu beweglichen Bausteinen seines Masterplans schrumpfen. Das mag helfen, um politisch zu mobilisieren, ist aber de facto genau die Vereinfachung, die von Progressiven oft bei anderen beklagt wird.
Den Versuch, auf dem bisherigen theoretischen Fundament Komplexität zuzulassen statt zu vermeiden, unternimmt Burcu Kilic, die gerade Senior Fellow an der Kennedy School in Harvard ist (Paper hier). Kilic versucht dabei, auf der Grundlage des Überwachungskapitalismus von Shoshana Zuboff eine historische Analyse über dessen Wurzeln vorzunehmen.
Im Kern geht es also darum, dass Daten inklusive Verhaltensdaten zum Rohstoff werden, dessen Verwertung entgrenzt wird. Wobei es Kilic anders als Zuboff nicht um die technische, sondern um die politische Entgrenzung geht.
Meilensteine sind hier so (relativ) unbekannte Gesetze wie das Framework for Global Electronic Commerce unter der Clinton-Regierung 1997 oder auch die erfolgreichen Bemühungen der USA, digitale Güter und Dienstleistungen unter das WTO-Freihandelsregime zu fassen. In diesen Kontext stellt Kilic auch die Thinktank-Branche, die in ihren Augen mit Schlagworten wie “Innovation”, “offenes Internet” oder “ethische KI” ein Extraktionsmodell und letztlich antidemokratische Entwicklungen legitimiert hat.
Auch Kilics Position ist eine dezidiert linke. Der Anspruch einer historischen Analyse wird in Sachen Komplexität durchaus erfüllt. Allerdings ersetzt sie am Ende in meinen Augen nur den “Great Man” durch die “Great Theory”. Und schrumpft die Geschichte des Internets zur Umsetzung eines neoliberalen Projekts.
Vermutlich werden künftige Geschichtsbücher dennoch einmal viele Elemente von Kilics Analyse erwähnen, wenn es um die Entwicklung der Digitalisierung von 1990 bis 2025 geht. Aber wer auch immer einmal das Standardwerk dazu schreibt, wird nicht darum herumkommen, seine/ihre Erkenntnisse von der Geschichte des Kapitalismus seit 1980 abzuleiten.
Bahnbrechende Software-Innovation wird dann neben einer schrittweisen Veränderung des Gemeinwohlgedankens stehen, die Hegemonie der Marktmetapher neben einer immer stärkeren politischen Impotenz gegenüber global vernetzten Finanz- und Informationsströmen. Eine solche Geschichte wird hoffentlich Verantwortungen aufzeigen, ohne zu vergessen, dass sich Veränderungen stets in existierenden Systemen abspielen und nur ganz selten von einem “Masterplan” getriggert werden (es gibt nicht so viele historische Lenins).
Vielleicht muss diese Geschichtsschreibung auch eine Geschichte des Kapitalismus als erste und eigentliche Künstliche Intelligenz der Neuzeit sein: Als inzwischen quasi-autonomes System, dessen komplexe Wechselwirkungen uns bestimmte Entwicklungspfade eröffnen und uns von anderen abschneiden. Als System, das unsere zivilisatorische Logik seit Jahrhunderten prägt, formt und verändert.
Dan Wang: Breakneck
Da wir bei Büchern sind: Im Oktober habe ich endlich Dan Wangs Buch “Breakneck” zu Ende lesen können. Das Internet ist voll mit Rezensionen und Meta-Debatten, deshalb hier nur kursorisch: Wangs Grundthese ist ein Gegensatz zwischen der “Ingenieursgesellschaft” (China) und der “Anwaltsgesellschaft” (USA) und den Folgen, die es für die Entwicklung der beiden Länder in den vergangenen Jahrzehnten hatte.
Kurz: Die USA konnten immer weniger “bauen” und modernisieren, zumindest was die physische Infrastruktur betrifft, wohingegen China in großem Tempo Infrastruktur schaffen konnte. Weil die “Ingenieursgesellschaft” in einem autoritären System aber zu Willkür, Korruption und unmenschlichen Entscheidungen (Ein-Kind-Politik, Zero-Covid, Vollüberwachung) führt, ist sie nicht unbedingt ein Zukunftsmodell.
Meine Sorge vor der Lektüre war, dass Wang ein - siehe oben - “Great-Theory”-Buch geschrieben hat und deshalb Widersprüche ausklammert. Das ist erfreulicherweise nicht der Fall. China wird nicht verklärt, sondern die gesellschaftspolitische Hybris der Kommunistischen Partei deutlich benannt und ihr Ursprung erklärt. Die USA kommen in der Analyse insgesamt etwas zu kurz, was allerdings verkraftbar ist - die sehr lebensnahen Schilderungen Wangs über das Leben in China sind viel interessanter als die nächste makroökonomische Analyse der Vereinigten Staaten.
Dass die Dichotomie “Engineering” vs. “Lawyerly” der Weisheit letzter Schluss oder eine sinnvolle Schablone für die Entwicklung der beiden Länder ist, lässt sich spätestens nach dem Beginn von Trump II und dem zügigen Abbau des Rechtsstaats bezweifeln. Vielleicht ist “Breakneck” deshalb eher ein Zeitdokument. Aber eines, das großen Erkenntnisgewinn liefert.
Die Binance-Begnadigung
In der fortgesetzten Lateinamerikanisierung der amerikanischen Politik ist die Begnadigung von Binance-Gründer Changpeng Zhao nur eines von vielen Symptomen. Schlagzeilen hat sie nur wenige gemacht, was auch daran liegt, dass Zhao seine Haftstrafe schon verbüßt hatte.
Das Wall Street Journal ($) hat die Finanzströme hinter diesem Akt der unverhohlenen Korruption chronologisch zusammengefasst.
Zhao, der sich 2023 der Geldwäsche für schuldig bekannte und eine viermonatige Haftstrafe absitzen musste, suchte demnach Anfang 2024 bereits Kontakt zum Trump-Umfeld. Später stellte er Entwickler für die Trump-Familienkryptofirma World Liberty Financial zur Verfügung. Als die Herrscherfamilie von Abu Dhabi mit zwei Milliarden US-Dollar bei Binance einsteigen wollte, sorgte Zhao dafür, dass das Investment über Trumps Stablecoin-Währung USD1 abgewickelt wurde. Das trieb den Kurs künstlich nach oben (und ermöglichte es natürlich, Golfstaaten-Geld ins Trump-Familiengeschäft zu pumpen). Win-win, quasi.
Übersetztes Zitat aus dem WSJ:
“Die Verwendung von USD1 hat World Liberty einen enormen Schub verliehen, seine Marktkapitalisierung enorm gesteigert und ihm neuen Einfluss verschafft. Dies wiederum hat den Verkauf seiner anderen Kryptowährung WLFI begünstigt, deren Wert auf dem Markt schwankt. Die Geschäftspartner von World Liberty haben den Erfolg seiner Stablecoin als Grund für ihre Investition in WLFI genannt.
World Liberty erzielte im vergangenen Jahr einen Umsatz von rund 1,4 Milliarden US-Dollar aus WLFI-Verkäufen, weit mehr als das Immobilienportfolio des Präsidenten jemals jährlich einbrachte. Auf der Website von World Liberty heißt es, dass das Unternehmen zu etwa 40 % im Besitz einer Trump-Familiengesellschaft ist, die Anspruch auf drei Viertel der Einnahmen des Unternehmens aus diesen Verkäufen hat.”
Binance hat seinen Sitz nicht in den USA und darf nach dem Geldwäsche-Urteil bis 2029 nicht in den USA operieren. Ob sich Letzteres ändern könnte, wird sich zeigen. Vielleicht spielt es auch keine Rolle: US-Investoren haben ohne Probleme Zugang zu Binance-Stablecoins. So wie Stablecoins insgesamt in das US-Finanzsystem einsickern und damit “bailout-fähig” werden (siehe Ausgabe #141).
Substrates Röntgenlitographie: PR-Hype oder ASLM-Konkurrenz?
Hat das Start-up Substrate eine gute Idee oder eine gute PR-Abteilung? Sowohl Bloomberg, als auch Reuters, der Economist und Semianalysis berichten über die Pläne der Firma, mit einer neuen Lithographie-Technologie sowohl ASML, als auch TSMC Konkurrenz zu machen.
Im Kern geht es darum, das Drucken der feinen Strukturen (bis zu 1-2 Nanometer) in einem einzigen Belichtungsschritt durchzuführen oder die Belichtungsschritte zumindest deutlich zu verringern. ASML setzt derzeit auf mehrere Schritte, das Multi-Patterning (“Mehrfachstrukturierung”).
Das Versprechen: Wenn die Technik Produktionsreife erlangt, würden die Kosten für den Prozess um 90 Prozent sinken. Substrate will darauf aufbauend nicht nur ASML, sondern de facto auch TSMC Konkurrenz machen und in den USA Foundries für Highend-Mikrochip-Produktion aufbauen.
Der Zyniker in mir sagt natürlich, dass sich ASML relativ erfolgreich darin war, bestehende Mehrfachstrukturierungsprozesse zu optimieren und sich nicht umsonst gegen das Single-Patterning entschieden hat. Und dass im Moment eben ein guter Moment für Hype-Geschichten rund um Halbleiter ist.
Semianalysis teilt zwar eine gewisse Skepsis, hält den Weg aber zumindest theoretisch für gangbar und beruft sich dabei auf Menschen außerhalb der Firma, die die technischen Details kennen. Wir werden sehen - angeblich soll die Produktionsreife schon 2028 erlangt werden. Das erscheint mit jedoch ziemlich optimistisch.
Killing Halloween
Drew Austin weist auf eine interessante Beobachtung hin, die der Urbanist Ryan M. Allen gemacht hat: Halloween in den USA verändert sich. Es folgt inzwischen offenbar den Power Laws des Internets. Denn statt wie sonst die in der eigenen Nachbarschaft herumzuführen, fahren Eltern ihren Nachwuchs inzwischen in die Gegenden, in denen es besonders spektakuläre Dekos oder Schreckfallen gibt. Diese Destination Neighborhoods sind leicht zu identifizieren - es gibt Hinweise bei TikTok und sogar Online-Karten. Offenbar verteilt sich die Aufmerksamkeit so deutlich, dass in weniger beliebten Gegenden manchmal (anekdotisch) gar keine Halloween-Dekorationen mehr aufgehängt werden. Drew Austin (übersetzt und gefettet):
“Ich musste unweigerlich an ähnliche tote oder sterbende Gebiete in ganz Amerika denken, denen nach und nach die kleinen bürgerlichen Freuden entzogen werden, die theoretisch jedem zur Verfügung stehen – die soziale Version einer kleinen Stadt, die deindustrialisiert wird. Es ist leicht, einfach das Internet dafür verantwortlich zu machen, obwohl dies nicht so einfach zu sein scheint; das Internet ist jedoch nicht gut darin, negativen Raum zu integrieren, sondern trainiert uns, Orte der Inaktivität nicht mehr zu sehen und unseren Blick immer auf das Spektakuläre zu richten. Wenn die Leere schließlich Gestalt annimmt, haben wir uns meist schon selbst entfernt.”
Notizen
Prognosemärkte als unterschätztes Thema: Die Kurse der beiden Prognosemärkte Kalshi und Polymarket lassen darauf schließen, dass der Name der diesjährigen Friedensnobelpreisträgerin schon vorher durchgestochen wurde. Irgendwo in meinem Kopf und meinen Notizen versteckt sich noch ein Stück darüber, wie Prognosemärkte (Prediction Markets) als Teil der “Financialisation of everything” unsere politische Landschaft massiv verändern werden. Dass Donald Trumps Truth Social künftig als erstes soziales Netzwerk ebenfalls einen Prognosemarkt anbieten wird, zeigt bereits deutlich das Problem: Ein Präsident, dessen Umfeld auf seine Entscheidungen wetten darf, agiert nochmal genau in wessen Interesse?
Meta fehlt die Cloud: Die Börsenreaktionen auf die Tech-Quartalsergebnisse vergangene Woche zeigen deutlich: Mark Zuckerberg fehlt offensichtlich die Glaubwürdigkeit für sein KI-Narrativ, weil man - anders als Google, Microsoft und Amazon - kein klassisches Cloud-Geschäft für Geschäftskunden hat. Das könnte in der Tat eine der großen Schwächen des Meta-Konzerns sein. Das aber sich natürlich relativiert, wenn wir insgesamt ein Platzen der Blase zulasten der Tech-Konzerne sehen.
How to end your extremely online era: “Vielleicht rühren alle Probleme des Menschen daher, dass er nicht in der Lage ist, ruhig allein mit sich selbst in einem Raum zu sitzen”, schreibt Tommy Dixon in seinem langen Essay. Natürlich tragen solche Ermutigungstexte, Social Media zu verlassen, immer ein größeres Maß Vergeblichkeit in sich. Diesen habe ich aber als hilfreich empfunden und gerne gelesen.
Professionalisierung der “AI Creator”: Dieser Bloomberg-Artikel gibt einen kleinen Einblick in die Szene der “AI Creator” hinter “KI-Persönlichkeiten”. Also Menschen, die quasi die Karrieren KI-generierter Personas im Bereich Influencer und Musik steuern. Wir kannten diese Form von virtuellen Stars bislang eher aus Asien, aber mein Eindruck ist, dass wir 2026 eine größere Welle im Mainstream des Westens sehen werden.
“Fight Chat Control”: Ich hatte ja in der vergangenen Ausgabe die Frage aufgeworfen (Ausgabe #150), wie die ganze E-Mail-Welle gegen die Chatkontrolle organisiert wurde. Die Antwort hatte da schon Politico gegeben: Ein dänischer Entwickler hatte Ende August bereits die Seite “Fight Chat Control” aufgesetzt. Übersetztes Zitat aus dem Artikel: “Auf dieser Website können Besucher eine Massen-E-Mail mit einer Warnung zu diesem Gesetzentwurf verfassen und diese ganz einfach an nationale Regierungsvertreter, Mitglieder des Europäischen Parlaments und andere Personen senden.” Ich verwende ja immer gerne das Wort “Datenbank-Massage”, wenn es um Social Media geht (also der Versuch, dass mein Content vom Algo nach oben gespült wird). Das hier ist eine Art Brute-Force-Methode der “Meinungsbild-Massage”.
Eine Halbleiter-Investitionsgrafik
Morgan Stanley schätzt, dass bis 2028 weltweit etwa 2,9 Billionen US-Dollar in den Ausbau von Rechenzentren fließen. Etwa 1,5 Billionen US-Dollar davon sollen über Fremdkapital finanziert werden, darunter rund 800 Milliarden US-Dollar aus privaten Kreditquellen im Rahmen von Transaktionen mit spezifischen Vermögenswerten, etwa über Zweckgesellschaften (Standard Purpose Vehicles, SPV).
Die Umkehrung
“Die Fülle an Signalen verwandelt sich in Lärm. Die Fülle an Fakten verwandelt sich in Fälschungen. Der freie Zugang zur Selbstdarstellung in sozialen Medien führt zu Missbrauch durch Trolle und böswillige Akteure und verwandelt sich in Zensur. Die Revolte der Öffentlichkeit verwandelt sich in Anarcho-Tyrannei.
Die Fülle an Auswahlmöglichkeiten verwandelt sich in Entscheidungsunfähigkeit. Die Überflutung mit Nachrichten verwandelt sich in Nachrichtenmüdigkeit und Nachrichtenvermeidung. Der kollektive Mechanismus der Inhaltsauswahl – der Viral-Redakteur – verwandelt sich in kollektive Inhaltskontrolle: den viralen Inquisitor, der Sie beobachtet.”
Auch wenn ich ihm nicht in allem zustimme, prägt Andrey Mir durchaus meinen Blick auf die Digitalisierung. Sein Buch “Postjournalism and the Death of Newspapers” sollte (leider) Standardlektüre für Medienschaffende in den 2020ern sein. In seinem neuen, eher im Twitter-Aphorismen-Stil gehaltenen Buch “The Digital Reversal” diagnostiziert Mir eine Art Generalumkehr durch die Digitalität, die über die Post-Alphabetisierung hinausgeht. Obiges Zitat stammt daraus. Dieses Interview bietet eine gute Einführung in sein Denken.
Links
Europaparlament droht erneut mit Blockade des digitalen Euro.
OpenAI vollendet Restrukturierung.
Umgang mit Selbstmordgefährdung bei ChatGPT: Das soziale Experiment.
(Vorerst gestoppte) Chatkontrolle: Das steckt technisch dahinter.
US-Abschiebebehörde ICE weitet Einsatz von Gesichtserkennung aus. ($)
Google und Microsoft - Kampf der KI-Geschäftsmodelle. (€)
Apple hat zwei Probleme: Politik und Software.
Neue Airpods: Was wir verlieren, wenn alles simultan übersetzt wird. ($)
Alles ist zum Fernsehen geworden.
Die sieben Phasen des Internets.
Gerichtsstreitigkeiten als Content Wars.
KI wird die schlechtesten Instinkte von Chefs bedienen. ($)
KI wird Märkte effizienter machen (=Informationsasymmetrien verringern). (€)
Der New Yorker mit einer KI-Rechenzentren-Reportage. ($)
Das neue Zeitalter der Verschwörungen.
Wir missverstehen “Bildschirmzeit”. ($)
Wie Algorithmen Preise nach oben treiben können - eine Spieltheorie-Anwendung.
Die viktorianische Ära des Internets?
Intimität, Freundschaft, KI-Chatbots.
Das vulgäre Bild (von Dean Kissick).
Bis zur nächsten Ausgabe!
Johannes




