Liebe Internet-Beobachtende,
vielen Dank fürs Öffnen - und frohe letzte Osterstunden, soweit jemand hier montags E-Mails öffnet… Hier kommt Ausgabe #14.
Thema der Woche: Gedanken zu NFTs
Es ist kein Geheimnis: Wenn es darum geht, neue Technologien einzuschätzen, ist der Optimist meist auf der sicheren Seite. Weil die Geschichte eben “Zukunftsforscher Horx: Internet wird kein Massenmedium” länger im Gedächtnis behält als “Johannes Kuhn: Blockchain könnte das Internet revolutionieren”.
Womit ich unauffällig zu NFTs übergeleitet habe. Non-Fungible Tokens könnte man mit “unteilbare Wertmarken” übersetzen, aber das ist wenig aussagekräftig. Vielleicht lässt es sich so beschreiben: NFTs sind dezentral angelegte Eigentumszertifikate für digitale Kultur oder digitale Popkultur-Momente. Auf der Meta-Ebene sind NFTs nach Cryptowährungen und Cryptowährungs-Brieftaschen die erste wirkliche Blockchain-Anwendung, die Fuß zu fassen scheint (so viel zur Revolution…).
Auch wenn der New Yorker Künstler, der ein NFT seines aufgenommenen Furzes für 85 Dollar verkaufen konnte, sicher ein plakatives Beispiel ist: Die Beeple-Auktion ist der prominenteste Treiber des aktuellen NFT-Hypes.
Beeple ist der Digitalkünstler Mike Winkelmann, der jüngst ein Werk als NFT für 69 Millionen US-Dollar verkauft hat. Konkret ist es eine Collage aus seinen Minibildchen, die er seit Jahren täglich produziert. Allerdings hängt dieser Verkauf unmittelbar mit der Crypto-Szene zusammen: Der Käufer ist anonym und unter dem Pseudonym Metakovan unterwegs, es ist der Eigentümer eines Crypto-Investmentfonds aus Singapur. Metakovan hat jetzt ein digitales Eigentumszertifikat des Werks, das eigentlich jeder kopieren kann.
Ist das Irrsinn? Nur bedingt, wenn wir drei Aspekte beachten: Erstens löst Metakovan dadurch natürlich einen Sog-Effekt für NFTs, Crypto-Kunst und Cryptowährungen an sich aus, der sich für seinen Fonds durch steigende Marktwerte auszahlen könnte. Denn, ganz nebenbei: Das Crypto-Ökosystem ist gierig nach Fiatgeld. Weitestgehend unbemerkt blieb übrigens, dass Metakovan und Winkelmann offenbar Geschäftsbeziehungen pflegen, es also Interessenskonflikte geben könnte.
Aus diesem Konstrukt leitet sich auch zweitens ab: Die rasant gewachsene Crypto-Szene ist gerade auf der Suche nach Anlagemöglichkeiten. Denn der Umtausch von Crypto in eine andere Investmentklasse ist noch nicht einfach - reguläre Anlagegeschäfte wie Immobilienkäufe werden nur in Einzelfällen über Bitcoin abgewickelt. Entsprechend sucht sich Crypto-Geld eine Crypto-Anlageform. Und dass der Kunstmarkt ein beliebter Anlagemarkt ist, lässt sich auch im klassischen Investment beobachten.
Daraus folgt, drittens: NFTs vollziehen am Ende das nach, was der Finanzkapitalismus angesichts der Niedrigzinsen vorgemacht hat: Reichtum führt zu geparktem Geld, nur eben nicht in Form von Steinen (vgl. Immobilienkäufe), sondern mit der Erschaffung einer neuen digitalen Asset-Klasse. Die allerdings eher an Baseball-Sammelkarten als zum Beispiel an Aktien erinnert.
Ich will noch kurz drei praktische Probleme erwähnen, die aus der Dezentralität und der Blockchain-Technologie selbst erwachsen: Gerade erleben Künstler, wie ihre Digitalwerke ohne ihr Wissen an NFTs gekoppelt und verkauft werden. Weil es keine ”zentrale Instanz”, sondern nur verschiedene Cryptowährungs-Anbieter gibt, lässt sich das nur sehr schwer verhindern. Die Dezentralität hat außerdem zur Folge, dass mehrere Blockchain-Anbieter miteinander konkurrieren könnten - und jeder behauptet, er sei das “echte” Register, das das NFT hinterlegt hat. Jeff John Roberts:
“The situation is akin to a town having two competing services to register land deeds, or two auction houses each claiming they have the legitimate title to a piece of fine art. The issue is potentially an existential one for the nascent NFT industry, which stakes its existence on being able to prove a given token is unique.”
Der zweite Pferdefuß: Es gibt das ungelöste Blockchain-Problem, dass sich in ihr zwar alle Transaktionen speichern lassen, nicht aber der Gegenstand der Transaktion - also im Falle von Digitalkunst das Werk selbst. Stattdessen kann nur die Referenz, also die URL, abgebildet werden. Und diese URL kann eben - anders als das endlos kopierbare Werk selbst - verschwinden. Um es analog zur physischen Kunst zu beschreiben: Es kann mir passieren, dass ein gekauftes Bild aus meinem Tresor verschwindet, während die Signatur des Malers noch da ist.
Das dritte Problem wird derzeit im Kontext Crypto sehr häufig thematisiert: Die große Energiemenge, die ein dezentrales System verbraucht. Vor 30 Jahren hätte das niemanden gestört, aber in Zeiten des Klimawandels könnte diese Frage Crypto nachhaltig bremsen (andererseits habe ich keine konkrete Idee, wie das in eine Form von CO2-Bepreisung integrierbar wäre).
Doch zurück zur Frage “Hype oder Quatsch”? Das eigentliche Versprechen hinter NFTs ist, dem Digitalen einen Wert zu geben. Kunst/Musik bzw. prinzipiell alles, was in der ”Creator-Economy” erzeugt wird, soll dieses Versprechen erstmals einlösen.
Doch dahinter steht eine Vision, die gerne von NFT- und grundsätzlich von Crypto-Proponenten vorgebracht wird, durchaus im anstrengenden Modus der Überzeugung: Dies seien die Vorboten eines dezentralen Internets, ohne Mittelsmänner und -plattformen - ob Banken oder Facebook. Die Namen dafür lauten „Tokenized Networks“ oder auch Web3. Die Ableitung lautet:
If we assume that the WWW has revolutionized information and the Web2 revolutionizes interactions, the Web3 has the potential to revolutionize agreements and value exchange. It changes the data structures in the backend of the Internet, introducing a universal state layer, o en by incentivizing network actors with a token.
Wer es besonders spektakulär möchte, kann noch die Idee eines “offenen Metaversums” draufsetzen.
Digitalanthropologisch erinnert vieles an die libertäre Version des “Web 1.0”: Auch damals ging es zunächst um die direkte P2P-Verknüpfung von Computern (und dann Menschen), ungefiltert durch Zwischenhändler oder Staatsgrenzen. Wenn Web 2.0 die Bündelung in Firmenhänden bedeutete, soll “Web3” nun den erneuten Umschlag markieren.
Dass Künstler hier die Pioniere sein sollen, klingt gut. Allerdings ist anzunehmen, dass mit steigendem Angebot auch die Preise für NFTs sinken. Und wir wieder die alten Power-Law-Mechaniken sehen: Wenige verdienen viel, viele verdienen nichts. Vor allem wenn man im Hinterkopf hat, dass das Anlegen eines NFTs in der Blockchain erst einmal mindestens um die 50 Dollar kostet (“Gas Fee”) - ich also als Künstler/Künstlerin in Vorleistung gehen muss.
Um es deshalb zusammenzufassen: Ein auf hohe Erwartungen und geparktem Geld aufbauender Markt. Eigentum, das plötzlich verschwinden kann. Ein System, das hohe Gewinne verspricht, aber zunächst Eintrittsgebühren (Gas Fees) verlangt. Akteure, die möglicherweise Interessenskonflikte haben. All das riecht und schmeckt nach einem Schneeballsystem.
Wobei ich weiterhin an meiner Prognose festhalte, dass automatisierte dezentrale Verträge ihren Platz finden werden (siehe Absatz 1). Irgendwann einmal.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit und bis Ausgabe #15!
Johannes