Aus dem Internet-Observatorium #137
KI-Begleiter: Reibungslosigkeit der neuen Art / USA und Saudi-Arabien als Tech-Verbündete
Hallo zu einer neuen Ausgabe!
KI-Begleiter: Reibungslosigkeit der neuen Art
“Frictionlessness” - Reibungslosigkeit: Das war vor zehn Jahren das große Ding im Silicon Valley und darüber hinaus. Uber oder Lyft als Privattaxi, Amazon Fresh oder Postmates füllen den Kühlschrank, DoorDash liefert das Essen. Nicht nur Informationen sollten reibungslos fließen, sondern auch die Dienstleistungen: Die physische Welt verschmolz mit der App-Welt und brachte mit der “Gig-Economy” eine neue Berufsform hervor.
Neu war die Idee der Reibungslosigkeit index nicht: Bereits 1995 sprach Bill Gates von “reibungsfreiem Kapitalismus” der Informationsgesellschaft. Die Reibungslosigkeit der Zehnerjahre musste aber buchstäblich teuer erkauft werden: Die Anbieter subventionierten die Dienstleistungen massiv. Um überhaupt Interesse für das reibungsfreie Produkt zu wecken, aber auch, um die Menschen dahinter überhaupt dafür zu interessieren, den ganzen Tag Privattaxi zu spielen oder Supermarkt-Einkäufe zu erledigen.
Dieser menschliche Faktor entwickelte sich schnell zum Dreh- und Angelpunkt der Kritik an den reibungslosen Verhältnissen. Wenn Uber-Fahrer sich wie in einem Computerspiel fühlen, Lieferdienst-Radler prekäre Arbeitsverhältnisse sichtbar machen und Menschen in Amazon-Lagern wie Roboter funktionieren müssen, dann wird die Reibung schlicht umverteilt und ins fleischliche Backend einer App verlagert. Und dort wird aus der Reibungslosigkeit der Dienstleistung schnell die Entmenschlichung des Dienstleisters.
Diese Grundsatzkritik führte allerdings nicht zu einer neuen Wertschätzung der Reibung. Die Firmen wurden vielmehr besser darin, die Arbeitsverhältnisse Minimalstandards anzupassen und dies entsprechend gut zu verkaufen. Die Kosten der Reibungslosigkeit, die durchaus auch gesellschaftliche Kosten sind und sich im immer stärker transaktionalen Wesen unserer digital-vermittelten Zivilisation niederschlagen, wurden externalisiert. Oder, plastisch ausgedrückt: Was im Backend einer App passiert, ist uninteressant.
Eine der wenigen Bereiche, in dem Menschen außerhalb der “Gig-Economy” die negativen Seiten der Reibungslosigkeit spüren, sind Dating-Apps. Der Wisch nach rechts oder links selbst ist zwar “frictionless”, aber die “Marktbarmachung” der Zwischenmenschlichkeit auf einem zweiseitigen Markt mit großem Angebot erfordert allerhand Optimierung: Profil-, Chat- und In-Real-Life-Strategien wollen klug gewählt sein, garantieren weder ein “Match”, noch eine echte “Verbindung”, die über Sex hinausgeht. Die in den vergangenen Jahren angewachsene Tinder-Müdigkeit scheint auch dem Gefühl zu entspringen, austauschbar zu sein und Liebe und Verbundenheit in einem völlig gamifizierten Umfeld suchen zu müssen.
Liegt dieses Reibung nun am System, an unseren fehlgeleiteten Vorstellungen von effizienter Partnersuche oder an den Menschen, die dort agieren? Wie Mark Zuckerberg darüber denkt, darüber gab jüngst eine vielzitierte Aussage zu KI-Begleitern im Podcast von Dwarkesh Patel Aufschluss (die viele Leserinnen und Leser schon kennen dürften):
“Im Schnitt haben Amerikaner weniger als drei Freunde. Der durchschnittliche Mensch hat das Bedürfnis für deutlich mehr. Ich glaube, es sind 15 Freunde oder so. (…) Aber viele Menschen wollen mehr Verbindung, als sie haben. Viele Leute machen sich Sorgen: "Wird das reale, physische, persönliche Kontakte ersetzen?" Ich denke, die Antwort lautet: wahrscheinlich nicht. (…) Aber es ist nun mal die Realität, dass Menschen einfach nicht so viele Kontakte haben, wie sie gerne hätten. Sie fühlen sich oft einsamer, als sie es gerne wären.”
Für Zuckerberg ist das, kombiniert mit den wachsenden Fähigkeiten Künstlicher Intelligenz und der Möglichkeit, dass diese Systeme uns immer besser kennenlernen können, ein Argument für “AI Companions”, also KI-Begleiter.
Das wirft nicht nur ethische Fragen auf, sondern auch ein Schlaglicht auf das Wesen der KI: Sie verspricht letztlich Reibungslosigkeit ohne den menschlichen Faktor. In der Uni benötige ich keine App, die mir einen Ghostwriter für meine Hausarbeit vermittelt, sondern ich kann einfach das KI-System der Wahl anschmeißen. Wenn ich jemanden möchte, der mich versteht, muss ich nicht Bumble for Friends anwerfen, sondern kann mit dem KI-Begleiter sprechen.
Noch (noch! siehe Ausgabe #127 zu humanoiden Robotern) ist diese Reibungslosigkeit auf die digitale Welt beschränkt. Aber die Wirkung endet nicht dort: Wenn die KI der Cheatcode auf dem Weg zu meinem Schul- oder Uni-Abschluss ist, verspricht sie letztlich ebenfalls Reibungslosigkeit. Wenn mein KI-Begleiter mich versteht, muss ich nicht die Reibung komplexer zwischenmenschlicher Beziehungen IRL auf mich nehmen. Vielmehr versprechen KI-Systeme Beziehung ohne Widerstand: Keine Kompromisse, keine Verletzlichkeit, keine unangenehmen Gespräche.
Die Lebenserfahrung sagt uns natürlich, dass Freundschaften niemals mühelos sind. Und dass Reibung im Idealfall Teil einer Freundschaft sein sollte: Freunde können als Korrektiv wirken, Unterschiede zur Erweiterung des Horizonts und langfristig zu größerer Verbundenheit führen. Doch natürlich ermuntert uns unser digitalvermitteltes Lebens-User-Interface, genau solchen Konflikten aus dem Weg zu gehen. Und erspart übrigens, darauf weist Ryan Broderick hin, Meta all die Moderationsprobleme, die Mensch-zu-Mensch-Interaktionen auf seiner Plattform hervorbringen.
Wer aber trägt die externalisierten Kosten? Anders als in der Reibungslosigkeit der am Anfang beschriebenen App-Welt gibt es niemanden, der den physischen Job “im Backend” erledigt. Oder dessen Job (vgl. Uber vs. Taxifahrer) wegfällt.
Es ist vielmehr die weitere Reduktion von Zwischenmenschlichkeit, die vermutlich in einer Welt von KI-Begleitern zu Buche schlägt: In fortgesetzter Isolation, weiter sinkendem Verständnis füreinander und einer reduzierten Fähigkeit, Unterschiede und Konflikte in der Fleischwelt da draußen auszuhalten. Die Folgen werden der Allgemeinheit aufgebürdet.
Am Ende aber wird der Verlust auch im persönlichen Bereich liegen: In den zwischenmenschlichen Beziehungen, die wir niemals eingegangen sind.
Hinweis: Ich erzähle der re:publica etwas zum Thema “Manufacturing Consent: KI-Begleiter als ideologische Gatekeeper der Zukunft”, das mit diesen Fragen durchaus zusammenhängt. Montag, 26. Mai, 18:45-19:15, Lightning Box 2.
Das amerikanisch-saudische Tech-Bündnis
Donald Trumps Reise nach Saudi-Arabien hat einige für Tech relevante Kooperationen zwischen den USA und Saudi-Arabien zur Folge (entsprechend groß der Techmenschen-Anteil in seiner Entourage). Hier eine Übersicht:
DataVolt, Google, Oracle, Salesforce, AMD und Uber haben gemeinsam Investitionen von 80 Milliarden US-Dollar in Tech-Projekte in den USA und Saudi-Arabien zugesagt.
Humain (eine neue Tochter des saudischen Staatsfonds) und Nvidia bauen gemeinsam KI-Fabriken in Saudi-Arabien, ausgestattet mit mehreren hunderttausend Nvidia-GPUs in den nächsten fünf Jahren (Trump hatte Bidens Chip-Exportbeschränkungen vorher kassiert).
Humain schließt eine Partnerschaft mit Amazon über 5 Milliarden US-Dollar und eine weitere mit AMD über 10 Milliarden US-Dollar.
DataVolt (saudisches Unternehmen) will 20 Milliarden US-Dollar in US-Rechenzentren investieren.
Scale AI eröffnet ein Büro in Saudi-Arabien.
Qualcomm kooperiert mit der Tech-Tochter von Aramco für digitale Transformation.
Google baut sein KI-Zentrum in Saudi-Arabien aus.
Groq (kalifornischer Chiphersteller) übernimmt KI-Inferenzarbeiten für Humain.
Irgendwo in der Liste meiner Prognosen findet sich auch Saudi-Arabien als eine der Großmächte in einer multipolaren Welt nach 2030. Diese Investitionen zeigen, dass man es mit der Positionierung als KI-Hotspot und mit einer Tech-Partnerschaft mit den USA ernst meint. Ob daraus zwangsläufig auch Anstrengungen der Saudis im Kontext KI-Chipproduktion folgen (was angesichts des Wasserbedarfs bizarr wäre), lässt sich noch nicht sagen.
Trumps Crypto-Deals
For the record noch einige korruptionsverdächtige Geschäfte von “World Liberty Financial”, dem Crypto-Arm der Trump-Familie (hält 60 Prozent des Eigentums, bis zu 75 Prozent der Gewinne):
Ein von Abu Dhabi unterstützter Fonds investiert zwei Milliarden US-Dollar in Binance und verwendet dafür den Familien-Stablecoin USD1. (New York Times)
Auch Investoren aus anderen Ländern machen Geschäfte mit “World Liberty Financial”, das Ausmaß ist allerdings sehr intransparent. (New York Times, $)
Eine Produktionsfirma für TikTok-Content hat bis zu 300 Millionen Euro in Trumps Memecoin investiert. (New York Times)
Die 25 größten Käufer von Trumps-Memecoin sollen eine Einladung ins Weiße Haus erhalten. (Washington Post)
Diese Geschäfte haben bereits den überparteilichen Kompromiss für eine amerikanische Stablecoin-Regulierung im Kongress über den Haufen geworfen; die Demokraten wollen nun den Entwurf für ein Bundesgesetz einbringen, das es politischen Amtsinhabern und ihren Familien verbietet, Memecoins und Stablecoins auszugeben. Es ist nicht davon auszugehen, dass er im republikanisch dominierten Kongress eine Mehrheit findet.
Links
Die Cyber-Komponente im Konflikt zwischen Indien und Pakistan: Ein Realitätscheck.
Bundesarchiv warnt vor Löschen von E-Mails von Ex-Regierungsmitgliedern.
EU: EU-Kommission lockert das Fusionsrecht, will “europäische Champions”.
Chatkontrolle: Einigung auf polnischen Kompromissvorschlag unwahrscheinlich.
Neuer Papst: KI als Herausforderung für die Menschheit.
Wegen KI-Bericht? Musk sorgt für Entlassung des Chefin der US-Urheberrechtsbehörde.
Google: Nach Produktsuchen-Strafe droht jetzt Schadenersatz-Prozess.
Noch viele Unklarheiten bei der elektronischen Patientenakte.
Es gibt erste Chatbotfehler-Versicherungen. (€)
Technologie-Botschafter der UN: KI kann zu schnellerer Eskalation von Konflikten führen.
Nach Urteil wegen Datenverstößen: Meta droht, Nigeria zu verlassen.
Ist die Podcast-Branche doppelt so groß wie bislang angenommen?
US-Gerichtsprozess: Familie lässt KI-Auftritt eines Getöteten erstellen.
Künstliche Intelligenz: Wie wir bessere Benchmarks entwickeln könnten.
Ist das Ende des Internets einfacher vorstellbar als dessen grundlegende Veränderung?
Musks Supercomputer als Superverschmutzer in Memphis. (€)
Bosch setzt voll auf Software - eine gute Idee? (€)
Universitäten: Auch Professoren benutzen Chat-GPT (und Studenten sind nicht glücklich darüber). ($)
Die 25 größten Tech-Fails aus den vergangenen 25 Jahren.
Bis zur nächsten Ausgabe!
Johannes