Aus dem Internet-Observatorium #133
KI als "normale Technologie" / FTC vs. Meta und die Marktfrage
Hallo zu einer neuen Ausgabe - und erholsame Ostertage!
Künstliche Intelligenz ist eine normale Technologie
Vielleicht ist die Osterwoche ein guter Moment, die Dinge in Ruhe zu betrachten. Gerade im Kontext von KI. Irgendwo zwischen der Sorge, bald in einer Welt Allgemeiner Künstlicher Intelligenz (AGI) zu leben und der Frage, ob wir nicht eigentlich gerade eine KI-Blase langsam platzen sehen.
Arvind Narayanan und Sayash Kapoor vom Newsletter “AI Snakeoil” sind eine gute Quelle, wenn es um einen nuancierten Blick auf KI geht. Ihr neuer Aufsatz “AI is a normal technology” ist nicht nur voller spannender Querverweise auf aktuelle Studien, sondern steht auch weit jenseits des Dualismus Hype vs. Doom. Sie sagen vielmehr, der Titel verrät es: KI ist eine stinknormale Technologie.
Und schreiben dabei solch wohltuende wie wahre Sätze darüber, wie wir überhaupt die Leistung von Modellen messen (übersetzt):
“Je einfacher eine Aufgabe mit Hilfe von Benchmarks zu messen ist, desto unwahrscheinlicher ist es, dass sie die Art von komplexer, kontextbezogener Arbeit repräsentiert, die die berufliche Praxis ausmacht. Durch die starke Fokussierung auf Fähigkeits-Benchmarks als Grundlage für unser Verständnis von KI-Fortschritten überschätzt die KI-Gemeinschaft durchweg die realen Auswirkungen der Technologie.”
Analytisch und klar richten sie ihren Blick auf die Geschwindigkeit der Veränderungen. Transformative wirtschaftliche Auswirkungen, so argumentieren sie, werden erst langsam eintreten. Genauer gesagt: wie bei Computern, Elektrizität, Internet und anderen Basistechnologien verlangsamt sich die Entwicklung, sobald sie adaptiert werden und sich verbreiten (Adoption & Diffusion). Das kann Jahrzehnte dauern.
Genauer: In sicherheitskritischen Bereichen gibt es “natürliche” Bremsen wie Sicherheitsbedenken und regulatorische Anforderungen. Aber auch außerhalb davon ist die Adaption langsamer, als man denkt: Einzelpersonen ändern ihre Arbeitsabläufe nicht über Nacht.
Wer nun entgegnen mag: Regulierung wird gerade in den USA abgeschafft und Chatbots sind in der Wissensarbeit allgegenwärtig, kann vielleicht vom Blick auf die Gesamtstruktur überzeugt werden. So garantieren technische Fähigkeiten alleine noch keine Zuverlässigkeit in realen Anwendungen (vgl. selbstfahrende Autos):
“Die bloße Steigerung der Fähigkeiten (Capability) reicht nicht aus; es bedarf einer entsprechenden Zunahme der Zuverlässigkeit (Reliability) für einen breiten und sicheren Einsatz.”
Zwischen Fähigkeit und Zuverlässigkeit gibt es aber eine Lücke. Übersetztes Zitat:
“Diese „Fähigkeits-/Zuverlässigkeitslücke“ tritt immer wieder auf. Sie war ein wesentliches Hindernis für die Entwicklung nützlicher KI-„Agenten“, die Aufgaben in der realen Welt automatisieren können. Um es klar zu sagen: Viele Aufgaben, für die der Einsatz von Agenten vorgesehen ist, wie z. B. die Buchung von Reisen oder der Kundendienst, sind weit weniger folgenreich als das Autofahren, aber immer noch so kostspielig, dass es nicht einfach ist, Agenten aus realen Erfahrungen lernen zu lassen.”
Diese “Reliability” wächst nicht wie nach einem Naturgesetz.
In Firmen und Organisationen ist es zudem so, dass ein Großteil des Wissens nicht für KI zugänglich ist - weil es nie aufgeschrieben wurde, geschweige denn “erlernbar” ist. Institutionelles Wissen ist nicht KI-tauglich - und entsprechend muss die Entwicklung in solchen Bereichen eher granular und zielgenau stattfinden, um überhaupt die technischen Fähigkeiten der KI verlässlich zur Anwendung bringen zu können. Eine multimodale KI alleine macht noch keine Automatisierung.
Als Analogie erinnern Narayanan und Kapoor an die Elektrifizierung: Bis Elektrizität in Fabriken wirklich in einer Rolle zum Einsatz kam, die Produktionsvorteile sicherte, dauerte es demnach Jahrzehnte.
Das heißt für die beiden: Bei den KI-Risiken, um die wir uns kümmern sollten - Unfälle, Wettrüsten, Missbrauch, Fehlausrichtung - handelt es sich um komplett andere Felder als die Auseinandersetzung mit der Möglichkeit einer menschenähnlichen KI. Letztere ist vernachlässigenbar, für erstere gibt es Institutionen und Gesetze (wie wir auch am AI Act sehen).
Ich weiß nicht, ob ich mit dieser Interpretation völlig mitgehe - netzwerkbasierte Technologien verbreiten sich für gewöhnlich schneller als klassische Basistechnologien.
Auf der anderen Seite haben sich die Einsatzformen von KIs im Bereich der Wissensarbeit in den vergangenen Monaten eher durch bessere Handlebarkeit und den Einsatz in einer wachsenden Zahl von Domänen ausgezeichnet, als dass sie Resultate irgendwelcher “Intelligenzsprünge” gewesen wären. Eine längere Anpassungs- und Diffusionszeit wäre uns als Zivilisation auf alle Fälle durchaus zu wünschen.
Wann ist ein Markt ein Markt? FTC vs. Meta
Der US-Kartellprozess Federal Trade Commission (FTC) gegen Meta hat am Montag begonnen - und die Fragen, die dazu gestellt wurden, waren naheliegend: Wird Zuckerberg Trump dazu überreden, dass die FTC die Klage noch fallen lässt? Wollte man wirklich mit einem Taschengeld eine außergerichtliche Einigung erreichen? Lässt sich Meta wirklich zerschlagen und wenn ja, wie?
Ich will vor allem auf einen anderen Aspekt blicken: Die Frage, wann ein Markt ein Markt ist.
Denn die Definition des Marktes, auf dem sich Meta bewegt, steht im Mittelpunkt der FTC-Argumentation. Und ist durchaus angreifbar.
Bei der FTC-Klage geht es um den Vorwurf, der damalige Facebook-Konzern habe sich mit dem Kauf von Instagram (2012) und WhatsApp (2014) missliebige Konkurrenz vom Hals gehalten und damit seine Monopolstellung bewahrt.
Das Argument der Monopolstellung hat allerdings einen Haken: US-Amerikaner nutzen YouTube häufiger, mit TikTok gibt es einen erfolgreichen Konkurrenten unter den sozialen Netzwerken und wer keine Lust auf WhatsApp hat, kann Signal nutzen. So in etwas argumentiert auch Meta - man verweist zum Beispiel darauf, dass die Nutzer zu Instagram gingen, als TikTok kurzzeitig gesperrt war. Und zu YouTube, als Instagram ausfiel. Das zeige, dass der Dienst ersetzbar sei, also alles andere als Teil eines Monopols.
Die FTC dagegen spricht von einem Markt “persönlicher sozialer Netzwerke”. Anders als in der klassischen Definition Social Media sind hier TikTok oder YouTube keine Konkurrenz, weil Instagram und WhatsApp sowie Facebook das Kernprodukt Netzwerke sind, die den Austausch zwischen Familie und Freunden und die Bildung kleiner Gemeinschaften fördern. Als Konkurrenten werden deshalb Snap und das ziemlich unbekannte MeWe genannt.
Diese Definition klingt etwas willkürlich. Sie wird allerdings von der FTC mit E-Mails von Mark Zuckerberg aus dem Jahr 2012 unterfüttert, in denen er Instagram und WhatsApp als mögliche Konkurrenz für Facebook nennt. Zitat New York Times ($) über den Prozessauftakt:
“In seinen einleitenden Bemerkungen erwähnte Matheson Dokumente, darunter eine E-Mail vom Februar 2012, die er als “schlagende Waffe” bezeichnete und in der Zuckerberg den Aufstieg von Instagram und die Bedeutung der “Neutralisierung eines potenziellen Konkurrenten” erörterte. In einer anderen E-Mail vom November 2012 an Frau Sandberg, die damalige Chief Operating Officer, schrieb Zuckerberg: „Messenger schlägt WhatsApp nicht, Instagram wuchs so viel schneller als wir, dass wir es für 1 Milliarde Dollar kaufen mussten.““
Was ich erstaunlich finde, sind die verschiedenen Zeitachsen: Die FTC hätte vor einigen Jahren - ungefähr in der zweiten Hälfte der Zehnerjahre - tatsächlich ein stärkeres Monopol-Argument vorbringen können. Und tatsächlich stammt der Beginn der Untersuchung aus dem Jahr 2020. Ursprünglich hatte man die Übernahme nicht beanstandet.
Wenn man in die Jahre 2012 bis 2014 zurückblickt, war in der allgemeinen Debatte allerdings schon von einer eher defensiven Akquisition die Rede. So habe ich es zumindest wahrgenommen.
Jedoch eher, weil womöglich Bilder-Netzwerke oder Chats der neue heiße Scheiss zu werden begannen. Nicht unbedingt als direkte Facebook-Konkurrenz, sondern als Paradigmenwechsel in der Nutzung. Bei WhatsApp kam noch dazu, dass der Messenger-Dienst in Europa und Asien bereits von Abermillionen Menschen genutzt wurde, also auch eine mobile Nutzerbasis dazu gekauft wurde. Man hätte ahnen können, dass sich Facebook hier horizontal für verschiedene Nutzungsszenarien aufstellt.
Ist das dann ein Argument dafür, das Marktmonopol so zu fassen, wie es die FTC tut? Wohl eher nicht. Man kann durchaus argumentieren, dass es eine Konstruktion ist, um die Vergangenheit irgendwie in die Gegenwart zu zwängen. Eine Gegenwart, in der TikTok, YouTube oder auch Substack oder X als Konkurrenten durchaus eine Rolle spielen. Und sei es nur, dass Meta die dortigen Funktionen klont - das eigentliche Problem der Firmenpolitik.
Zur Frage der Zerschlagung sei noch angemerkt: Die ist kein Automatismus, wenn Richter James Boasberg der FTC Recht gibt. Eine Milliardenstrafe könnte mit anderen Abhilfe-Mechanismen kombiniert werden - zum Beispiel der aus dem DMA bekannten Interoperabilität.
Besinnungslos scrollen, um Platz zu schaffen
“Ich begann mich zu fragen, ob das digitale Scrollen so etwas wie ein alkoholbedingter Blackout ist: Bei einem digitalen Blackout verschwindet ein Teil des Tages in der Internet-Unterwelt, weil er einfach so wenig erinnerungswürdig ist - nichts davon erscheint irgendwie geeignet, später im Leben als bedeutsamer Moment erinnert zu werden. Vielleicht ist es so, dass unser Gehirn sich in diesen Zeiträumen einfach abschaltet, um Energie für die Dinge zu sparen, die es wirklich wert sind, im Langzeitgedächtnis gespeichert zu werden. Zum Beispiel das Lächeln auf dem Gesicht meiner Tochter, wenn sie unangekündigt in mein Büro stürmt, während ich schreibe. Vielleicht versucht unser Körper, uns zu schützen.”
Luke Burgis: Everything is fast. (Zitat übersetzt)
Links
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Bis zur nächsten Ausgabe!
Johannes