Aus dem Internet-Observatorium #121
Die Themen 2025 / Der tech-industrielle Komplex
Hallo zu einer neuen Ausgabe! Wie jetzt häufiger in Wahlkampfzeiten eher “in der zweiten Wochenhälfte” als immer mittwochs. Und dieses Mal mit heißer Nadel (befinde mich hier gerade zwischen zwei Parteitagen, über die ich berichte).
Die Themen 2025
Eine Übersicht von Themen, die mich in den kommenden zwölf Monate beschäftigen werden.
Die neue Situation
Wie nennt man die aktuelle (Phase der) Verschmelzung von technologischer und politischer Macht? Und inwiefern unterscheidet es sich von der bereits bekannten Dominanz amerikanischer Tech-Konzerne über die westliche Digitalinfrastruktur? Inwiefern ist das Ganze schlicht eine Wiederholung verschiedener Episoden oligopolistischer Macht- und Einflussaneignung? Und welche analytischen Werkzeuge helfen dabei, die Entwicklungen zu strukturieren? Gibt es Anknüpfungspunkte an die Polykrise, wie Adam Tooze sie beschreibt?
Tech und Geopolitik
Ein allumfassendes und allgegenwärtiges Thema in diesem Jahr. Beispiele: Chip-Exportkontrollen und das Hinausdrängen chinesischer Software aus den USA; die Frage, wie stark die EU mit ihrer Verregelung von Digitalprodukten und -märkten Übergriffen Einhalt gebieten kann und ob sie sich irgendwann auf den Weg in Richtung eines Eurostacks macht, um echte digitale Souveränität herzustellen. Die Rolle neuer Akteure wie der Golfstaaten in Schlüsseltechnologien wie KI. Chinas Aufholjagd bei Chips und der Export von Infrastruktur und Software in den globalen Süden. Der Umgang mit den erwartenden Rückschläge bei den ohnehin zaghaften Versuchen, über KI-Regulierung einen Konsens zu finden.
KI, Rechenzentren und neue Modelle
Gelingt es den US-Techkonzernen, mit neuen Kraftwerken den USA einen uneinholbaren Vorsprung in Sachen Rechenzentrums-Infrastruktur für LLMs zu verschaffen? Kann die EU mit einem föderierten Ansatz dagegenhalten? Oder ist, wie jüngst Ergebnisse aus China (Deepseek) nahelegen, die Philosophie des “mehr, größer, aufwändiger” bei der KI-Modellentwicklung ein Irrweg (was dem Markt und dem Klima zu wünschen wäre)? Und wie sehr wird sich die Rolle von Open-Source-Modellen herauskristallisieren?
Crypto und das Ende der Brandmauer
Der Wunsch von Deregulierung und einer Bitcoin-Reserve der USA ist nichts anderes als der Wunsch, Crypto unter Trump “too big to fail” werden zu lassen. Sollte er in Erfüllung gehen, könnte eine neue Klasse superspekulativer Assets Mainstream werden - und den Boden für den nächsten großen Finanzcrash bereiten. Mal ganz abgesehen davon, dass die ohnehin belasteten US-Stromnetze mit Bitcoin-Mining zusätzlich belastet werden würden (vom CO2-Ausstoß gar nicht zu reden). Vielleich ist der nächste Crypto-Crash ja ein Stromausfall.
Chinas Hacking
“Salt Typhoon” hat das Ausmaß chinesischer Hacking-Aktivitäten zumindest angedeutet. Im Kontext Guam könnte das Ganze auch militärische Bedeutung bekommen. Womöglich wird das Jahr 2025 noch einmal deutlicher machen, wie stark China in Sachen Hacking und Cyberspionage inzwischen ist. Auch in Deutschland.
Deutschlands Digital-Malaise
Das Digitalministerium wird kommen, nicht unwahrscheinlich, dass es jemand aus der Privatwirtschaft besetzen wird. Ebenso wichtig wie die politische Architektur wird nach der Bundestagswahl die Relevanz dieser Themen in der Bundesregierung - von Verwaltung über Cybersicherheit und Netzausbau bis hin zur internationalen Normierung - insgesamt sein. Die ablaufende Legislaturperiode hat nur in wenigen Feldern zur Aufholjagd geführt, es braucht inzwischen eher eine Aufholjagd, um überhaupt mit einer Aufholjagd mal beginnen zu können (mehr über das Thema demnächst).
Postliteracy
Der Trend vom Text zur Oralität verändert unseren Medienkonsum - und auch unseren Umgang mit Informationen. Wir stehen am (gefühlten) Ende des Gutenberg-Zeitalters und gleichzeitig am Anfang der Erkenntnis, wie das unseren Diskurs verändert - besonders im Zusammenspiel mit Hyperpersonalisierung und den Mechanismen der Aufmerksamkeitsökonomie.
Der tech-industrielle Komplex
Die Parallelen von Joe Bidens Abschiedsrede am Mittwoch zu Dwight Eisenhowers Abschiedsrede vom 17. Januar 1961 sind offensichtlich, wurden vom scheidenden US-Präsidenten sogar thematisiert. In der Warnung vor dem dem “tech-industriellen Komplex” 2025 findet die Warnung vor dem “militärisch-industriellen Komplex” Widerhall. Und selbst die Überraschung, dass Biden solch klare Worte fand, ähnelt - so schreibt zumindest Jim Fallows - dem Effekt der Eisenhower-Rede.
Biden kritisierte nicht nur die Oligarchisierung der USA und ihre negativen Folgen für die Demokratie, sondern auch die Rolle von Tech in Gestalt von Social Media bei der Manipulation der Bevölkerung (besonders durch den Trumpismus, auch wenn das nicht ausgesprochen wird) Zitat:
“Die Amerikaner werden unter einer Lawine von Fehlinformationen und Desinformationen begraben, die den Missbrauch von Macht ermöglichen. Die freie Presse zerbröckelt. Redakteure verschwinden. In den sozialen Medien wird die Überprüfung der Fakten aufgegeben. Die Wahrheit wird von Lügen unterdrückt, die aus Macht- und Profitgründen verbreitet werden. Wir müssen die sozialen Plattformen zur Rechenschaft ziehen, um unsere Kinder, unsere Familien und unsere Demokratie selbst vor dem Missbrauch von Macht zu schützen.”
Ähnlich wie bei Eisenhower ließe sich sagen: Warum erst jetzt, am Ende der Amtszeit? Und es gibt sicher auch das Gegenargument, dass die opportunistische Ausrichtung der Tech-Milliardäre und ihrer Firmen in Richtung Trump nicht von Dauer sein muss, der Zorn des 47. US-Präsidenten schnell Verbündete zu Feinden machen kann und ihm (Trump) Tech nicht so wirklich wichtig ist.
Allerdings ändert das nichts an den digitaltechnologischen Machtverhältnissen. Der Verweis auf die Konkurrenz durch China, erstmals 2017 durch Zuckerberg vor dem US-Kongress vorgebracht, wird nun das Thema KI-Deregulierung bestimmen. Im Bereich Militärtechnologie findet seit mindestens einem halben Jahr eine Annäherung zwischen Tech und Pentagon statt, bei der es nicht nur um Datenanalyse im Stile von Palantir geht, sondern um KI-gesteuerte Kriegswaffen.
Das alles hat Biden nicht unbedingt gemeint - der Blick von US-Präsidenten auf die internationalen Folgen nationaler Entscheidungen ist seit jeher verengt. Und doch wird gerade dieser Teil des “tech-industrielle Komplex” die vielleicht größten globalen Verschiebungen bewirken. In der Verteilung der globalen ökonomischen Wertschöpfung, den Risiken durch Computersysteme und auch in der Art, wie Kriege geführt werden. Dass Kriegsführung auf Basis von KI und Robotik das Risiko senkt, Kriege überhaupt zu beginnen, ist immer noch ein unterschätzter Faktor - der aber in wenigen Jahren höchst relevant werden wird.
Notizen
TikTok-Verbot: Was bis Sonntag (oder am Montag) mit TikTok in den USA passiert, ist derart schwer vorherzusagen, dass ich einfach auf die Kollegen vom Social Media Watchblog verweise (€).
Elektronische Patientenakte: Der Erfolg hat viele Väter (und Mütter), im behördlichen Misserfolg haben die Eltern oft den Namen “Verantwortungsdiffusion”. So wird es auch mit der elektronischen Patientenakte sein. Natürlich ist die Gematik weiterhin keine überzeugende Organisation für die Umsetzung solch komplexer Projekte (oder für das Erkennen der Relevanz von Sicherheitsmeldungen). Man kann aber auch argumentieren, dass Projektmanagement im Gesundheitswesen hochkomplex ist und politische Sonderwünsche nach der Entscheidung für eine bestimmte Architektur eigentlich zum Scheitern führen müssen.
X, Zuck, DSA etc.: Die EU-Kommission erweitert das Verfahren gegen X um das Thema algorithmische Bevorzugung. Ich habe den Eindruck, das hätte schon früher in die die Blue-Check-Untersuchung einfließen können, Indizien gibt es ja bereits einige Monate. Aber 150 Menschen sind halt auch eine Behörde, noch dazu eine, die erst einmal auf die neue EU-Kommission warten musste. Ich würde die Berichte rund um Überlegungen der EU-Kommission, DSA & DMA nicht so streng anzuwenden, erst einmal mit Vorsicht genießen. Dass solch sensible Verfahren am Ende politisch entschieden werden, ist aber keine Überraschung.
Links
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Bis zur nächsten Ausgabe!
Johannes