Liebe Internet-Beobachtende,
vielen Dank fürs Öffnen und die Aufmerksamkeit, hier kommt Ausgabe #11. An dieser Stelle auch ein kurzer Hinweis auf meine beiden anderen Newsletter: Unter “Seltsame Jahre” bündele ich alles jenseits von Tech, “Vier Links” ist ein Popup-Linkletter.
Thema der Woche: Bezahlen für Links?
Google sieht sich als universelle Suchmaschine. Ohne Links zu Nachrichten ist eine solche Suchmaschine unvollständig. Für Facebook sind “Nachrichten” eine ganz andere Kategorie: Der “News Feed” zeigte zunächst an, dass jemand Geburtstag hat, was jemand aus seinem/ihren Leben teilt, wer mit wem Freundschaft schließt. Selbst in der Kategorie “Links” machen Nachrichten nach Firmenangaben unter fünf Prozent aus.
Aus dieser Logik lässt sich ableiten, warum Google in Australien angesichts eines drohenden Nachrichtenlink-Gesetzes einen Deal macht, Facebook dagegen seine Muskeln spielen lässt und vorerst Links zu Nachrichten blockiert. Ob Facebook-Nutzer die fehlenden Nachrichten stören, wird der blaue Konzern in seinen internen Analytics ablesen können. Ich würde nicht darauf wetten, dass das irgendwelche Trends umkehrt. Vielmehr scheinen es die australischen Verlagshäuser zu sein, die nun mit Traffic-Verlusten von bis zu 20 Prozent leben müssen.
Dass Facebook die Blockade ohne Vorwarnung (in der Woche vor dem Impfbeginn) und mit zahlreichen Kollateral-Blockaden eingeführt hat, ist typisch für diesen Konzern, der ein unternehmensgewordener PR-Unfall geworden ist. Auf der anderen Seite ist es kein Geheimnis, dass das Gesetz eine Bestellung des Murdoch-Medienimperiums ist.
Kommen wir aber zum Kern: Ist es sinnvoll, Content-Links staatlich einen monetären Wert zuzuweisen? Verlinkungen ähneln erst einmal Telefonbuch-Einträgen, sie machen Webseiten, Marken und Menschen sichtbar und erreichbar. Und kein Handwerksbetrieb wäre auf die Idee gekommen, von Telefonbuch-Verlagen Geld dafür zu fordern, gelistet zu werden.
Die Metapher hat Grenzen, aber ich will sie trotzdem kurz beibehalten: Denn Facebook listet nicht alle gleich, sondern verdient sein Geld auch durch die Verknappung der Sichtbarkeit.
Zunächst ging es für Seiten und Marken darum, “Fans” zu finden, damit die den Content in ihrer Timeline sehen. Nachdem alles darauf optimiert wurde (“Like us on Facebook”), führte der Konzern eine stark verhaltensbasierte Timeline ein: Wer sicherzugehen wollte, einen Fan auch wirklich zu erreichen, musste eine Werbeplatzierung buchen. Der einzig andere Weg war die Optimierung auf möglichst viel Interaktion - mit den bekannten Folgen von Clickbait, Emotionalisierung, Polarisierung, Quatsch.
Der Content passte sich den Parametern der Plattform an, zum Teil führte das zu massiver Geldverbrennung - siehe Facebooks ausgerufene und später leise beerdigte Priorisierung von Videos. Von den zahlreichen Indizien für Werbebetrug, - also Werbung, die fälschlicherweise als “sichtbar” verbucht wurde - rede ich gar nicht.
Und dennoch funktioniert ein Link weiterhin nach einem festen Prinzip: Er leitet Traffic und Aufmerksamkeit weg von seinem Erscheinungsort, in dem Fall auf die Nachrichtenseiten. Niemand hat je dafür bezahlt, auf eine andere Seite verlinken zu dürfen. Warum auch? Der größere Teil der Wertschöpfung verläuft nur deshalb in Richtung der Plattformen, weil die von den Aktivitäten und Links ihrer Nutzer als gebündeltes Ganzes profitieren (Aggregation).
Aber denken wir die Idee trotzdem einmal weiter: Wenn eine Plattform also für Links auf Nachrichtenseiten zahlen muss, warum dann nicht auch für Links auf Blogs? Oder Kochrezepte? Oder private Homepages? (Oder Statusmeldungen an sich?) Und warum sollen dann nur Plattformen für Links zahlen? Die Folgen einer Besteuerung von Plattform-Links wären klar: Das Volumen von Links würde abnehmen. Was ja gerade in Australien bei Nachrichtenseiten zu erleben ist. Mike Masnick:
“Facebook responds in the exact way any reasonable economist would predict: it says that's just not worth it and bans links. That's not incompatible with democracy. It's not bringing a country to its knees. The country said "this is how much news links cost" and Facebook said "oh, that's too expensive, so we'll stop.””
Bestimmten Links staatlich einen finanziellen Wert zuzuweisen, ist gefährlich. Und letztlich unehrlich, denn die unterschiedlichen Formen dieser Leistungsschutzrechte sind letztlich ein konstruierter Versuch, an der Wertschöpfung der Tech-Plattformen zu partizipieren (wobei das europäische Leistungsschutzrecht sich immerhin nicht auf Links, sondern Ausschnitte bezieht).
Im Kern macht das australische Modell die Verlage finanziell sogar noch abhängiger von den Tech-Konzernen. Und die Frage, ob die auf Fusionen und Personalabbau ausgerichtete Verlagsbranche das Geld wirklich für digitale Innovationen nutzen, klammere ich jetzt einmal aus.
All das folgt dem gegenwärtigen Trend, Internet-Konzerne stärker staatlich zu regulieren. Größere staatliche Eingriffe bedeuten eben auch, dass sich gut vernetzte Verlagshäuser wie NewsCorp ihre Wünsche einfacher erfüllen lassen können. Es gibt keine “gute” Seite in diesem Konflikt.
Ein positiver Effekt könnte allerdings tatsächlich sein, dass Australier und Australierinnen wieder direkt auf die Nachrichtenseiten gehen. Oder dass sich die Medienhäuser noch stärker auf andere, direkte Vertriebswege besinnen. Umgekehrt ist noch unklar, was bei Facebook die Lücke besetzt, die seriöse Nachrichtenseiten nun hinterlassen. Desinformation galore?
Aber womöglich endet der Konflikt in irgendeinem finanziellen Kompromiss über ein Förderprogramm, ähnlich wie bei Google. Wahrscheinlich werden auch australische Gerichte ihre Zweifel an einer Linksteuer anmelden, wenn sie in der jetzigen Form verabschiedet wird.
Gäbe es eine Content-Linksteuer, die gerechtfertigt wäre? Man könnte Formate wie Googles AMP ins Visier nehmen, die keine externen Links im klassischen Sinne sind, sondern de facto fremde Inhalte auf Google-Severn ausspielen und via Standardsetzung auch einen gewissen Zwang ausüben (AMP war sicherlich ein Beweggrund für Google, den News Showcase zu starten). Aber auch hier: Diese Bezahlung müssten dann alle erhalten, nicht nur Nachrichtenseiten (in der Praxis würde Google wahrscheinlich AMP einfach abschalten).
Eine radikalere, aber unwahrscheinliche Variante wäre ein Verbot von personalisierter Werbung; das wollen allerdings auch Verlagshäuser nicht.
Das zentrale Dilemma lässt sich weiterhin schwer auflösen: Die Medienhäuser des 20. Jahrhunderts müssen versuchen, journalistische Inhalte zu refinanzieren, bewegen sich aber in der Welt des 21. Jahrhunderts. Dort haben sie nicht nur die Distributionshoheit verloren, sondern agieren in einem Umfeld unendlichen Contents, in dem sie zudem in Aufmerksamkeitskonkurrenz zu allen anderen digitalen Anwendungen auf einem Smartphone oder Computer stehen.
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#GeplatzteTräume Im Januar hat Google erklärt, sein Internet-per-Ballon-Projekt Loon einzustellen. Business Insider hat nun eine Autopsie vorgelegt. Ein Hauptgrund: Regierungen und Mobilfunkanbieter empfingen Google wider Firmenerwarten mit alles andere als offenen Armen.
#Angriffsvektoren Ein Sicherheitsforscher konnte Firmen wie Microsoft, Apple, PayPal, Shopify, Netflix, Tesla und Yelp hacken. Seine Strategie: Er publizierte schadhafte Open-Source-Pakete, die schlicht den gleichen Namen wie die intern verwendeten Open-Source-Pakete trugen.
#Bestandsdaten Der Bundesrat hat der Neufassung der Bestandsdatenauskunft nicht zugestimmt, sie landet nun im Vermittlungsausschuss. Die Opposition im Bundestag kritisiert, dass die neuen Regeln zur Datenherausgabe von Providern und Diensteanbietern erneut so breit gefasst sind, dass das Verfassungsgericht sie wieder kassieren würde.
#BrainDrain Wissenschaftler aus Großbritannien kommen in einem neuen Paper zu dem Ergebnis, dass im Feld Künstliche Intelligenz/Machine Learning die Abwanderung aus der Wissenschaft Richtung Google, Facebook, Microsoft und Co anhält. Ihre Warnung: Diese Privatisierung der Forschung kann dazu führen, dass maßgebliche Entwicklungen ohne gesellschaftliche Mitsprache stattfinden. Dazu passt, dass Google nach Timnit Gebru nun auch Margaret Mitchell entlassen hat. Die beiden leiteten bei Google Brain die Arbeitsgruppe zu ethischen Herangehensweisen im AI-Bereich.
#ComputergenerierteInhalte Der Wissenschafsverlage IOP Publishing muss fünf Papers aus den Jahren 2018 bis 2020 zurückziehen, weil sie nachweislich von Computerprogrammen geschrieben wurden.
Lesetipps
The Clubhouse App and the Rise of Oral Psychodynamics
Die (Rück-)Entwicklung von einer Schrift- zu einer mündlichen Kultur wurde schon im Zusammenhang mit Twitter stellenweise prognostiziert. Zeynep Tufekci sieht nun Clubhouse als ein weiteres, logisches Indiz dafür. Ihr Fazit:
“Because of technology, oral psychodynamics have broken through at scale, and we are trying to manage them with institutions that operate solely through an within print/written culture. And that cannot, will not, hold without adjustment.”
Inside the Making of Facebook’s Supreme Court
Kate Klonick war an den Vorbereitungen des “Obersten Facebook-Gerichtshofs” beteiligt und hat darüber geschrieben. Eine Schwäche, die deutlich wird: Das Gremium kann sich nur mit Fällen, nicht mit Grundsatzfragen beschäftigen. Und diese Fälle betreffen nur Inhalte, die heruntergenommen wurden - also nicht kontroverse Inhalte, die Facebook online lässt.
Schon wegen der Form sehr lesenswert: Aaron Z. Lewis wählt Erzählungs-Miniaturen, um zu umreißen, was gerade bei der Teil-Verschmelzung von Mensch und Software passiert:
“Digitally networked publics are a whole new animal because they’re made up of people whose inner lives have merged with software. Social media users have access to different ways of sensing, interacting, coordinating, and knowing; and the experience of the self that emerges from this technologically-enchanted environment is far more porous. If the private sphere has been thoroughly altered by our software sense organs, we should expect that new publics will look a lot more messy and weird than the ones that came before.”
Ein Video
Epic stattet seine 3-D-Baukastenplattform Unreal Engine mit einem neuen, stark verbesserten Menschengenerator aus, der den Namen “MetaHumans” trägt. Die Games von Morgen werden sich immer stärker wie Westworld anfühlen, wenn auch weiterhin nur am Bildschirm.
Wir lesen uns in Ausgabe #12!
Johannes
(Foto-Quelle: David Leo, CC BY-ND 2.0)